Faschistenfete im Polizeicamp

Beim G-8-Gipfel haben rechte Gruppen und einige Polizisten einander schätzen gelernt. Sie waren an Eskalation interessiert, um Linke zu diskreditieren

von MICHAEL BRAUN

Sie sangen das Faschistenlied „Faccetta nera“, sie grölten Schmährufe auf die Kommunisten, sie hoben den Arm zum Duce-Gruß. Und dazu brüllten die ebenso ausgelassen wie gesinnungsfest Feiernden laut Zeugenaussagen immer wieder: „Olé, olé! Hurra, hurra! Einer weniger!“

Die makabre Fete mit Hochrufen auf die Erschießung Carlo Giulianis war allerdings nicht von einer Neonaziorganisation ausgerichtet. Die Spontanparty stieg – nach zahlreichen von Genuas Tageszeitung Il Secolo XIX gesammelten Zeugenaussagen – am Sonntagabend und dann wieder am Montag in dem großen Camp, das die Polizei zum G-8-Gipfel auf Genuas Messegelände bezogen hatte.

Seit Tagen verbreitet die Berlusconi-Regierung eine Version der Gipfelereignisse, die auf der einen Seite ruchlose linke Gewalttäter sieht, angeblich gedeckt und geschützt durch das Protestbündnis des Genoa Social Forum (GSF), auf der anderen Seite dagegen die brave Polizei, die nur ihre Pflicht getan habe. Immer neue Zeugenaussagen legen dagegen das Bild von einem ganz andren Schwarzen Block nahe, der in Genua hauste – von einem Block, dessen Schwarz für die traditionelle Farbe der italienischen Faschisten steht.

Zahlreiche Festgenommene berichten nicht nur von Malträtierungen, die eines faschistischen Regimes würdig wären. Sie erzählen auch, dass die Polizisten sich gleich selbst als Faschisten outeten und ihre Opfer als „dreckige Jüdin“ oder als „schmutziger Neger“ beschimpften. Dazu fügt sich, dass ein internes Papier des Polizeipräsidiums Genua schon im Vorfeld des Gipfels recht detailliert die G-8-Pläne rechtsextremistischer Gruppierungen skizzierte, ohne dass im Vorfeld irgendwelche Präventivmaßnahmen ergriffen worden wären. Darin heißt es: „Einige Turiner Mitglieder von Forza Nuova sollen einen Kern von 25–30 Personen gebildet haben, den sie bei der Gruppe der ‚Tute Bianche‘ einschleusen wollen, um sich so unter die Anti-G-8-Demonstranten zu mischen. Die genannte Gruppe soll das Ziel verfolgen, im Falle von Unruhen die Ordnungshüter zu attackieren, um so die antagonistische Linke zu diskreditieren.“

Schon am Freitag voriger Woche interviewte ein italienischer Journalist am Rande der Krawalle einen betrunkenen Engländer, der kundgab, er sei Nazi. Italienische „Kameraden“ hätten ihn samt seiner Gruppe gerufen, um in Genua Randale zu machen. Am Samstag sahen Demonstranten zwei Personen, die ein größeres Paket in einen Müllcontainer warfen. Der Inhalt: schwarze Kleidung, Helme, rechtsextremes Propagandamaterial. Und Vittorio Agnoletto, Sprecher des GSF, erklärte, er habe das Polizeipräsidium schon am 18. Juli auf die Ankunft zweier Busse mit Rechtsextremisten aufmerksam gemacht. Und schließlich steht weiter der Verdacht im Raum, auch Beamte hätten sich unter die Demonstranten gemischt, um die Krawalle anzuheizen.

Auch die echten Anhänger des Schwarzen Blocks fanden sich in die Eskalationsstrategie der Polizei integriert, wenn man der Aussage eines anonymen Polizisten gegenüber der kommunistischen Tageszeitung Liberazione glauben darf: Zweimal am Samstag hätten Polizeieinheiten mehrere hundert Leute des Schwarzen Blocks isoliert. Doch statt Verstärkung zu schicken, habe die Einsatzleitung den Rückzug angeordnet. Erst als die „Schwarzen“ wieder den Anschluss an die Großdemo gefunden hätten, sei der Befehl zum Zuschlagen gekommen – gegen die gesamte Demo. Die Einsatzleitung der Carabinieri hatte zumindest einen Kreis merkwürdiger politischer Berater in der Zentrale sitzen. In einer Radiosendung von Freitagmorgen vergangener Woche – dem ersten Tag der Krawalle – rühmte sich Filippo Acierno, Abgeordneter der postfaschistischen Alleanza Nazionale, zusammen mit drei Fraktionskollegen halte er sich schon seit Stunden im Lagezentrum der Carabinieri auf.

Angesichts dieser sich häufenden „Zufälle“, angesichts immer neuer Szenen des brutalen Zuschlagens der Polizei – die mit sechs Tagen Verzögerung jetzt auch im staatlichen Rundfunk RAI übertragen werden –, angesichts der Weigerung der Regierung, die Vorfälle untersuchen zu lassen, finden die Linksdemokraten wieder zu einer deutlichen Sprache. Massimo D’Alema äußerte am Donnerstagabend im Abgeordnetenhaus den Verdacht, die Exzesse der Polizei seien gedeckt, politisch unterstützt und es sei möglicherweise sogar dazu ermutigt worden.

„Diese Gewalttaten haben ein klares politisches Vorzeichen. Man muss nur die Zeugenaussagen lesen. Ein Vorzeichen, das ich faschistisch nennen würde“, so D’Alema. „Es scheint fast so, als hätten da welche seit langem auf die Gelegenheit gewartet, politische Rache zu nehmen.“

Da die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss des Parlaments zum Scheitern verurteilt ist, mehren sich mittlerweile auch in Italien Stimmen, die nach einem internationalen Untersuchungsausschuss rufen. Neben den Grünen und den Kommunisten unterstützen auch diverse Abgeordnete der Linksdemokraten das Verlangen. Die Linksdemokraten wie auch Rifondazione Comunista wollen zudem eine Plenarsitzung des Europaparlaments zu den Ereignissen von Genua beantragen.