Eröffnung mit kleiner Irritation

Seit dem Wochenende gibt es am Ku‘damm Deutschlands ersten Shaolin-Tempel. Da treten Mönche anderen mit voller Wucht in Richtung Eier, was auf den ersten Blick eher weniger mit fernöstlicher Weisheit zu tun hat

Shaolin – das klingt super und vor allem nach allem Möglichen: Immerhin hat sich von diesem Kloster auf dem Gipfel der Song-Shan-Berge in der chinesischen Provinz Henan aus der Zen-Buddhismus in Japan und China ausgebreitet. Eine gute Portion Shaolin steckt auch in den HipHoppern vom Wu Tang Clan – das konnte man in vielen ihrer Videos sehen. Hongkong-Filmstars wie Jet Li wurden dort ausgebildet, und es gibt Kurse mit Shaolin-Philosophie für Manager. Kommerz und Spektakel gehören, zumindest in den Augen der Öffentlichkeit, ebenso zu Shaolin wie fernöstliche Philosophie.

Dementsprechend gemischt war auch das Publikum bei der Eröffnung des ersten deutschen Shaolin-Tempels am Ku’damm: Bomberjacken-Gangsta-Rapper-Jungs, wegen der Hitze ausnahmsweise im Muscle-Shirt, chinesische Familien, deutsche Buddhisten, einige Ku’dammbummler, vom Riesenplakat am Zoo und dem Fressstand vor der Tür angelockt. Und natürlich die, die sich schon vor der Eröffnung für die hier stattfindenden Kung-Fu-Kurse angemeldet haben.

Promo und Marketing scheinen gefruchtet zu haben, und das erstaunt nicht wirklich. Geschäftsführer des Tempels – der in den Akten des zuständigen Bezirksamts als Sportstätte geführt wird, weil es nicht ganz so einfach ist, in Deutschland als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden – ist der 37-jährige Rainer Deyhle, Jurist, Geschäftsmann, Produzent der Hertha BSC-Hymne und Sohn des Ex-Musical-Milliardärs Rolf Deyhle. Der landete als einer der ersten Ausländer vor 13 Jahren in Shaolin, blieb 6 Monate und kam immer wieder. Jetzt soll er im Auftrag des Abts die deutsche Dependance als kulturelle Begegnungsstätte und Ort für die buddhistische Bewegung organisieren. Umtriebig für die Repräsentation der Shaolin-Philosophie ist er schon länger – zum Beispiel hat er eine einstweilige Verfügung gegen den Namen einer Showtruppe erwirkt, die als Shaolin-Mönche touren, obwohl sie keine echten Mönche sind.

Aber jetzt ist im neuen Tempel am Ku’damm erst mal Showtime: Alle wollen sehen, was ein echter Kung-Fu-Held kann. Zehn der insgesamt nur 150 Mönche aus dem Shaolin-Kloster sind zur Eröffnung aus China angereist, drei von ihnen werden in Berlin bleiben, als Geistliche und Kampfkunstlehrer. Heute lassen sie Metallplatten auf ihren Köpfen zerbersten, Holzpflöcke an ihren gestählten Beinen brechen, fliegen durch die Luft und landen auf dem Boden, ohne sich abzustützen. Das Publikum macht „ahh“ und „ohh“ und hält sich auch manchmal vor Schreck die Hände vor das Gesicht. Einen Moment der Irritation gibt es dann, als nach einer kleinen Anmoderation ein Mönch dem anderen mit voller Wucht Richtung Eier tritt. Das hat dann auf den ersten Blick doch wenig mit fernöstlicher Weisheit zu tun. Betretenes Schweigen, als jemand aus dem Publikum auch mal treten soll. Schließlich gibt es dann doch ein paar Freiwillige: und zwar aus derselben Gang von Charlottenburger Jungs, die schon am Abend vorher vor dem Gebäude rumgehangen haben und eine kleine Vorabführung durch das Haus wollten. Na ja, Jugendarbeit ist auch etwas, was der Tempel perspektivisch anbieten will, neben Chi Gong, Tai Chi, traditioneller chinesischer Medizin und Meditation.

Nach der Kampfpräsentation herrscht großer Andrang am Empfangscounter, alle wollen sie ein kleines Häppchen von dieser angenehm zwanglosen Religion: T-Shirts, kleine Buddhafiguren, Armreife und CDs mit chinesischer Tempelmusik gehen über den Tresen. Die herumstehenden Jungs von der Security werden zum Chan- oder Zen-Buddhismus befragt – wohl, weil sie auch fast so schöne Muskeln wie die Mönche haben. Die aber zucken leicht peinlich berührt mit den Schultern und geben zu, von der Philosophie keine Ahnung zu haben.

Und vor der Tür stehen die Jungs von der Charlottenburger Gang – immer noch fassungslos, dass ihr Eiertreten nicht mal ein Zähne-Aufeinanderbeißen ausgelöst hat.

STEPHANIE GRIMM