Inder bleiben Raritäten

Seit einem Jahr dürfen IT-Fachleute per Green Card kommen. Nach Berlin aber fanden nur 268. Von denen hat mancher die Stadt schon wieder verlassen – nach Westdeutschland und in Richtung USA

von JEANNETTE GODDAR

Als Christian Busch eines Morgens im vergangenen Winter seine Mails abrief, hatte er Post aus Chennai. Ein Inder, den die Jobsuche auf die Homepage des Berliner Softwareunternehmens „brainjunction“ verschlagen hatte, schrieb, er sei IT-Spezialist, jung, kompetent und arbeitswillig. Ob man nicht irgendwie ins Geschäft kommen könne?

Man konnte. Busch, Geschäftsführer von „brainjunction“ antwortete prompt. „Wir brauchten dringend Personal, und dass Inder hervorragend ausgebildet sind, hatte sich ja nun hinreichend herumgesprochen“, erklärt er die damalige Lage. Bei der Industrie- und Handelskammer erkundigte Busch sich nach der Green-Card-Regelung und hatte nach mehreren Telefonaten schließlich auch den zuständigen Mitarbeiter des Arbeitsamts am Apparat. Mit den mitgesandten Unterlagen solle er bei der deutschen Botschaft in Neu-Delhi ein Visum beantragen, schrieb Busch dann dem Bewerber. Tagelang passierte gar nichts. Als der junge Mann sich endlich wieder meldete, konnte er Buschs Ungeduld gar nicht begreifen: Indien ist groß, Delhi weit – der IT-Experte saß zwei Tage lang im Zug, um überhaupt zur Botschaft zu kommen.

Seit Februar aber ist er nun ein verdienter Mitarbeiter der Softwarefirma in der Dircksenstraße, entspricht mit seiner Herkunft auch dem Stereotyp des „Computer-Inders“, ist aber in Berlin dennoch eine echte Rarität. Wenn sich am 1. August die Einführung der Green-Card-Regelung zum ersten Mal jährt, werden ganze 35 indische IT-Experten an der Spree registriert sein, und einige von ihnen haben die Stadt bereits wieder verlassen – gen Westdeutschland und in Richtung USA. Wie viele überhaupt noch hier sind, weiß auch der Sprecher des Landesarbeitsamts, Klaus Pohl, nicht: „Schließlich können sich Green-Card-Inhaber auf eine attraktivere Stelle anderswo bewerben wie alle anderen auch.“

Sicher ist allerdings, wie viele – oder wie wenige – ausländische IT-Experten seit Einführung der Regelung in Berlin eine Green Card ausgestellt bekommen haben: 268. In Brandenburg sind es ganze 40, in Bayern dafür allein 2.475 von bundesweit 8.556. Insgesamt ist die Bundesrepublik damit von dem Ziel, 20.000 Fachkräfte anzuheuern, am ersten Jahrestag der Regelungseinführung meilenweit entfernt.

Auf die Frage, woran das liegt, erklärt das Landesarbeitsamt, anders als beispielsweise die Industrie- und Handelskammer habe man nie damit gerechnet, dass der Bedarf an ausländischen IT-Experten besonders groß sei: „Die Berliner Branche ist stärker durch kleine Start-ups als durch alteingesessene große Firmen geprägt“, sagt Pohl. Kleineren Betrieben fehle das nötige Kapital, um Leute aus dem Ausland anzuwerben. Voraussetzung für eine Green Card ist schließlich ein universitärer Abschluss – oder eine Bescheinigung über einen Jahresverdienst von mindestens 100.000 Mark. Pohl: „Angesichts dessen überlegen sich doch viele, ob sie nicht lieber einen Quereinsteiger einstellen.“ Alles in allem aber hält er die Green Card für eine „gelungene Ergänzung“ – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Andererseits zeigt die Praxis, dass die Anwerbung aus dem Ausland nicht zwingend etwas mit der Größe des Unternehmens zu tun haben muss. Während brainjunction mit gerade mal sechs Festangestellten – inzwischen inklusive dreier Inder – arbeitet, hat Ovivo, ein Dotcom-Unternehmen mit Sitz in Mitte, heute 15 Angestellte und war unter den Ersten, die im Ausland auf Suche nach Nachwuchs gingen – Ovido unter anderem via E-Mail an der Pinnwand der deutschen Botschaft in Kathmandu. In der nepalesischen Hauptstadt fiel die Anzeige dem 26-jährigen Prasanna Tuladhar auf; der Programmierer hatte eben sein Studium in Südindien beendet. „An den dortigen Universitäten tauchen zum Ende jedes Studienjahrs reihenweise amerikanische Headhunter auf und werben die Absolventen ab“, erzählt Tuladhar, „aber nach vier Jahren Indien wollte ich nach Hause zu meiner Familie.“ Bis das Angebot aus Deutschland kam.

Statt im US-amerikanischen Silicon Valley lebt der junge Nepalese nun schon neun Monate an der Schönhauser Allee. Seit Anfang des Jahres ist auch seine Frau in Berlin, die im Gegensatz zu ihm bemüht ist, die deutsche Sprache zu lernen. Sie will hier studieren. Etwas anderes, sagt Tuladhar nicht ohne Ironie, bleibe ihr auch kaum übrig. Ehepartner bekommen erst nach einem Jahr eine Arbeitserlaubnis – für Tuladhar einer der größten Nachteile der Regelung: „Wenn man Leute in ihren produktivsten Jahren in ein anderes Land lockt, muss man ihnen auch etwas bieten. Meine Frau ist genauso gut ausgebildet wie ich – und jetzt soll sie hier ein Jahr lang herumsitzen.“ Dass sie nach einem Jahr Arbeit aufnehmen darf, ist im Übrigen nur einer Gesetzesänderung zu verdanken: Zu Beginn der Regelung waren Ehepartner sogar zu zwei Jahren Untätigkeit verdammt.

Abgesehen von all diesen kleinen Widrigkeiten deutscher Bürokratie aber, sagt Tuladhar, hätten sich beide gut in Deutschland eingelebt. Ausländerfeindlichkeit? Rassismus? Keine Spur: „Ich war skeptisch, habe aber bisher nichts dergleichen erlebt.“

Seine Bedenken kann man ihm wohl in mehrerer Hinsicht nicht übel nehmen. Die Gründe, warum so wenige „Computer-Inder“ zur Ansiedlung in Deutschland bereit sind, finden sich nicht nur in US-amerikanischen Gehaltslisten, sondern auch auf heimischen Webseiten: Unter Adressen wie www.theindianprogrammer.com wird nach wie vor in schillernden Farben vor Deutschland gewarnt: Angesichts von „vier Morden und einem Bombenanschlag binnen kürzester Zeit“ sei die Sicherheitslage in Deutschland für Ausländer kritisch, heißt es in einem Text, der offenbar vor einem Jahr kurz nach dem Anschlag auf russische Juden in Düsseldorf geschrieben und seither nicht mehr aktualisiert wurde. Wer vorhabe, zu emigrieren, heißt es dort weiter, solle bitte außer seinem Laptop vor allem eines im Gepäck haben: „eine gute Dosis Vorsicht“.