Die Null ist weg

Dank Vasile Miriuta gewinnt Energie Cottbus mit 1:0 gegen den HSV und stürzt diesen in eine frühe Krise

COTTBUS taz ■ Auf wem die Hoffnungen in dieser Saison ruhen bei Energie Cottbus, war recht anschaulich in der letzten Minute des Heimspiels gegen den Hamburger SV zu besichtigen. Kaum war der schrille Elfmeterpfiff von Schiedsrichter Franz-Xaver Wack ertönt, stürmten die Cottbusser Spieler nicht etwa zu Stürmer Marko Topic, der den Ball in elfmeterreife Regionen bugsiert hatte und dort zu Fall gekommen war. Sie eilten auch nicht zu Herrn Wack, um diesem zu gratulieren, weil er die Aktion des HSV-Keepers Pieckenhagen gegen Topic für strafstoßwürdig befunden hatte. Nein, sie liefen in die Nähe des Mittelkreises zu ihrem Kapitän Vasile Miriuta und bedeckten dessen schweißglänzende Glatze mit mehr Küssen und Streicheleinheiten, als sie Frankreichs Nationaltorwart Barthez in seiner ganzen Karriere von Libero Blanc erhalten hatte. Miriuta enttäuschte nicht das schmatzhafte Vertrauen seiner Kompagnons und versenkte den Elfmeter zum 1:0-Sieg im Hamburger Tor.

Fast ebenso spannend wie die Frage, wer Meister wird (ganz gewiss nicht Bayern!) ist in dieser Saison jene nach den Absteigern. Als klarer Spitzenkandidat neben St. Pauli ging das Energie-Team von Eduard Geyer in die Spielzeit. Zumindest für die HSV-Fans, die sich enttäuscht im Interregio auf die Heimreise begaben, war an diesem Tag ein weiterer Aspirant hinzugekommen. „Gegen einen isländischen Zweitligisten“ könne der HSV auf diese Weise vielleicht gewinnen, nicht aber ein Bundesligaspiel, schimpften die Hanseaten nach dem saftlosen Auftritt ihrer Mannschaft, die am Ende auch noch das typische Pech hatte, welches Absteigern anzuhaften pflegt. Cottbus hingegen blickt schon ein bisschen optimistischer in die Zukunft. „Es ist unheimlich wichtig, dass so ’ne Mannschaft wie wir was auf der Habenseite hat“, sagte Geyer: „Letztes Jahr hatten wir da lange die Null stehen.“

Den Unterschied zwischen beiden Mannschaften könnte am Ende jener Mann darstellen, der schon am Samstag den Unterschied darstellte. Vasile Miriuta hatte nach seiner guten letzten Saison intensiv mit dem HSV verhandelt. Er sei nicht ärgerlich über den geplatzten Transfer, erklärte der 32-jährige Ungar nun, aber eine Genugtuung sei der Sieg schon gewesen. Während Neuzugang Jörg Albertz bei den Hamburgern zwar einige gute Szenen hatte, aber längst noch nicht die Seele des Spiels war, fühlte sich Miriuta bei Energie, Cottbus, wo man sein Gehalt deutlich aufgebessert hat, in der Kapitänsrolle pudelwohl. Er feuerte die Mitspieler an, auch nach missglückten Aktionen, suchte immer wieder Blickkontakt, vor allem mit dem neuen Mittelfeldpartner, dem polnischen Nationalspieler Radoslaw Kaluzny, war nur selten – und wenn, dann durch den frisurverwandten Stig Töfting – vom Ball zu trennen und beschwor fast mit jeder Aktion Gefahr für den HSV herauf. Dem langen Kaluzny servierte er Ecken und Freistöße auf den Kopf, die sicher zu einem Tor geführt hätten, wenn der Pole nicht wiederholt von eigenen Mitspielern behindert worden wäre, dem neuen Brasilianer mit dem sinnigen Namen „Brasilia“ eröffnete er kurz vor Ende die bis dahin größte, aber unglücklich vergebene Chance, und auch der durchtriebene Lupfer, der Topic die Chance zur Elfmeterbeschaffung gab, kam von Miriuta.

Ob seine nur knapp dem Abstieg entronnene Mannschaft in dieser Saison besser sei als in der letzten, mochte Eduard Geyer noch nicht beantworten. „Im ersten Spiel auf jeden Fall“, sagte der Coach. Vor Jahresfrist hatte Energie in Bremen mit 1:3 verloren. 4,2 Millionen Mark investierte der Klub in neue Spieler, so viel kostet gerade mal der große Zeh von Dortmunds Amoroso. Für die Cottbusser jedoch ist es der massivste finanzielle Kraftakt aller Zeiten. Dafür kamen neun Akteure, die den Kader in jedem Fall „solider“, ein Lieblingswort von Geyer, gestalten. Der größte Trumpf im Kampf um den Klassenerhalt ist aber dennoch ein anderer: Dass Vasile Miriuta nicht in Hamburg, sondern nach wie vor in Cottbus spielt.

MATTI LIESKE