Prügelpreise

Wühlen, Drängeln, Schubsen, Schlange stehen: Gestern hat der Sommerschlussverkauf begonnen  ■ Von Philipp Sidhu

Morgens, wenn Hamburg noch schläft, machen sich die Abstauber und Pfennigfuchser auf den Weg in die Innenstädte. Während die Nachwuchstalente sich zum Aufwärmen noch ein bisschen Bewegung an den nahen Geldautomaten verschaffen, warten die Veteranen stoisch vor den verschlossenen Türen der Einkaufsparadiese auf ihren Einsatz. „Ich weiß schon vorher, was ich will“, sagt Rentnerin Hedda König, und ihre als Back-Up mitgebrachte Freundin Regina bestätigt: „Hedda hat eine Liste, und an die hält sie sich.“ Sie selbst hat vorsichtshalber gar kein Geld dabei: „Ich bin süchtig nach Sonderangeboten.“

Seit gestern tobt in Hamburg wieder die Schlacht ums Schnäppchen: Der Sommerschlussverkauf ist eröffnet. Der traditionell in die vier Disziplinen Wühlen, Drängeln, Schubsen und Schlange stehen untergliederte Wettbewerb zieht auch dieses Jahr tausende von Kunden in die Innenstädte. Und der Handel freut sich: „Der SSV ist wider Erwarten sensationell angelaufen“, jubelt Herwig Rollmann, Vorstandsmitglied des Norddeutschen Textileinzelhandels in Hamburg. „Wir haben ein wahnsinniges Glück mit dem Wetter.“ Und mit den modisch unbeugsamen Deutschen, über die Modedesigner immer wieder klagen. Ruhig und gelassen werden die zeitlosen Kleidungsstücke der 93er-Saison getragen und für schick genug befunden. Aber wie soll es anders sein. Auf den Grabbeltischen und in den Schaufenstern gibt es überwiegend geschmacklose Ladenhüter zu bestaunen.

Der Sommerschlussverkauf ist nicht zuletzt auch ein Wettbewerb der klugen Köpfe der Werbeindust-rie. Neuerungen sind jedoch schon seit Jahren nicht mehr zu verzeichnen: „Reduziert“, „Stark Reduziert“, „Reduzierte Einzelteile“, „Billig“, „Extra Billig“ oder lo-ckende „Restposten“ zeugen nicht von echter Kreativität. Auffällig nur, dass das biedere „Preiswert“ fehlt. Zu Recht. Die hübsche, goldfarbene Kunstlederhandtasche mit Schlangenmuster zum Beispiel, die in der regulären Verkaufszeit keine Liebhaberin gefunden hat und nun zum Sonderpreis von zehn statt 25 Mark zu haben ist, war immer billig, nie preiswert.

Doch es gibt auch Innovationen im saisonalen Verkaufsgeschäft: In einem Möbel- und Bettenhaus in Harburg wurde gestern erstmalig die Schlägerei um Pfennigartikel in den Schnäppchenwettkampf aufgenommen. Doch die in Grün gewandeten beamteten Schiedsrichter unterbanden diese interessante Neuerung bereits im Ansatz. Vielleicht werden wir schon zum Winterschlussverkauf preiswerte Kleidung mit Werbebotschaften wie „Fight for the Price“ oder „Prügelpreise“ erhalten.

Doch bis dahin, mögen Joop und Lagerfeld noch so zetern, steckt der Michel die besockten Füße in die Salamander-Sandalen und schlappt zum SSV.