Reichskriegsflagge über der Sandburg

■ Ein Zwischenfall im Strandleben der Nordseeinsel Baltrum wird zur Geschichtsstunde

Endlich Urlaub. Tiefblauer, wolkenloser Himmel, weißer Sand, rauschende Wellen. Trotz der prallen Sonne weht am Strand immer noch ein erfrischendes Lüftchen. Hier lässt es sich aushalten! Die kleine ostfriesische Nordseeinsel Baltrum zeigt sich in diesen Tagen von ihrer Schokoladenseite. Vor allem Familien mit Kindern genießen die beschaulich-gemütliche Ruhe und das einträchtige Strandleben auf dem autofreien Eiland.

Doch Donnerstag scheint die Idylle bedroht. Neben der Inselfahne, gleich unter dem Banner einer Sportwagenfirma, flattert plötzlich auch die Reichskriegsflagge über den Strandkörben. „Sie ist mir heute Morgen gleich unangenehm aufgefallen“, erzählt Waldfried W., ein langjähriger Sommergast der Insel.

Seinen Unmut teilen auch andere. Marianne G. findet die Fahne „einfach nur bescheuert.“ Die 75-jährige hatte sie, so wie die meisten Urlauber, zunächst nicht bemerkt. Doch einige Badegäste machen sich gegenseitig darauf aufmerksam. „Das ist ja schrecklich. Die Fahne ist doch heute ein Symbol der Neonazis und auf jeder NPD-Demo zu sehen, die hat hier doch nichts zu suchen“, meint eine Frau mit zwei Kindern.

Das sieht deren Besitzer anders. Die Flagge werde von den Neonazis nur missbraucht. Damit habe er nichts zu tun. „Dass sie jetzt hier hängt, hat keinerlei politischen Hintergrund“, versucht er mit aufgesetzter rheinländischer Gelassenheit die Sache herunterzuspielen. Abnehmen wolle er die Fahne nicht. „Früher flatterten hier im Sommer überall Reichskriegsflaggen. Wir feiern nur einen Geburtstag.“

„Geburtstag“ hat in den nächsten Tagen auch der Krieg, in den die Deutschen unter der Reichskriegsflagge zogen. „Welche ist die Kriegsfahne?“, fragt ein neugierig gewordenes Mädchen. „Ich dachte, das sei die Fahne von Eintracht Frankfurt“, meint ein Junge verwundert. Der Baltrumer Strand wird für einige Umstehende unversehens zur Geschichtswerkstatt.

Und was passiert jetzt mit der Fahne? Unter den Urlaubern am Baltrumer Strand herrscht zunächst einmal Ratlosigkeit. „Man kann ja nichts machen, die Fahne ist ja nicht verboten“, meint Waldfried W. bedauernd. „Es traut sich keiner, was zu machen“, ist sich hingegen eine Gruppe Jugendlicher sicher. Max Zielinski, dem Baltrumer Strandmeister, gefällt die Fahne nicht. Doch dagegen vorgehen will er offenbar auch nicht. Er kennt den Bannerbesitzer und dessen Freunde. Sie kommen jedes Jahr hierher. Da versucht er sich lieber herauszuhalten.

Noch vor Ende der Badezeit ist die Reichskriegsflagge verschwunden. Dem Besitzer wurden die Diskussionen um seine Fahne wohl doch unangenehm und die Sache langsam zu heiß. „Wir wollten sie gerade herunterholen“, kommentieren dies die Jugendlichen. Die Flaggenfrage am Strand ist für heute erst einmal entschieden.

Und in Zukunft? Günther Feldmann, der stellvertretende Inselbürgermeister, verspricht, darauf zu achten: „Die Reichskriegsflagge ist kein Symbol des Urlaubs und der Strand soll nicht zu solchen Zwecken dienen.“ Notfalls werde die Gemeinde von ihrem Hausrecht Gebrauch machen. Der Strand sei vom Land Niedersachsen gepachtet. Schließlich soll Baltrum das bleiben was es ist: ein beschauliches Urlaubsparadies.

Andreas Goosses