Geraubte Lebenslust

■ Das Landesmuseum Oldenburg zeigt Bilder nigerianischer KünstlerInnen. Ihr Thema: Genitalverstümmelung

Eine Frau öffnet ihren Mund zum Schrei. Sie ist nackt. Ihr Körper löst sich auf. In expressiven Farbkontrasten von Grün zu Purpur und Orange zu Blau verschwimmt er nebulös. Stella Ubigho, eine Künstlerin aus Nigeria, schuf diese surreale Szene, die in Afrika täglich für etwa 6.000 Mädchen und junge Frauen grausame Realität ist: Sie werden an ihren Genitalien verstümmelt. In Afrika selbst wird dieser Brauch zunehmend kritisch thematisiert, auch von Künstlerinnen und Künstlern, deren Bilder jetzt im Oldenburger Landesmuseum für Natur und Mensch gezeigt werden.

Initiiert wurde diese Wanderausstellung von Museumsleiter Mamoun Fansa selbst und dem Oldenburger Verein zur Förderung interkultureller Begegnung. Petra Schnüll aus Göttingen von „Terre des Femmes“ bot in ihrem Eröffnungsreferat deutliche Fakten zu den sowieso schon kraftvoll anklagenden Gemälden: „Schätzungen der Vereinten Nationen beziffern die betroffenen Frauen in Afrika auf 150 Millionen - das entspricht der Gesamtbevölkerung von Deutschland und England.“

Betroffen seien vor allem die muslimische Bevölkerungsgruppen, daher ziehe sich die Zone, in der Beschneidung üblich ist, einmal quer durch die Mitte Afrikas – und das, obwohl der Koran die Unversehrtheit des Körpers als oberstes Gebot stellt, wie Mamoun Fansa, der selbst arabischer Herkunft ist, betont. Den Praktiken liege offensichtlich ein Missverständnis in der Auslegung der Hadissen, der Äußerungen Mohammeds, zugrunde.

Petra Schnüll legte dann auch differenziert dar, dass Mohammeds Worte „man nehme ein wenig weg, aber zerstöre es nicht“, als Kritik des Religionsgründers an vorislamischen Praktiken zu verstehen sei, aber nicht als Gebot zur Verstümmelung. „Diese Praktiken reichen von der Verstümmelung der Klitoris bis hin zu ihrer vollkommenen Entfernung sowie der Entfernung der inneren Labien“, erklärte die Göttinger Fachfrau und ersparte kein noch so grausames Detail. Bei der totalen „Infibulation“, der so genannten pharaonischen Beschneidung, würden zusätzlich die inneren Schichten der äußeren Labien und der Vulva ausgeschabt und vernäht, so dass sie zu einem festen, narbigen Ring zusammenwachsen. Nur eine winzige Öffnung bleibe zum Abfluss der Sekrete und des Urins.

Wie so ein Eingriff aus Kleinkindsicht wahrgenommen werden mag, schildert der Maler Wande George mit „The ugly hand that maims“. Expressive Farbkontraste beherrschen das Bild: Auf rötlichem Grund liegt ein Kleinkind, illustrativ umrandet, das Gesicht angstverzerrt, die Vulva schematisiert und andeutungsweise geöffnet. Schatten von Menschen fallen ins Bild und von links unten ragt eine rote Hand hinein, die eine Sichel auf das Geschlecht des Kindes zuführt.

„Den so fröhlichen Mädchen wird ihre Lebenklust genommen, sie sollen gebändigt werden“, meint Petra Schnüll. Dabei sei es für die Eltern ganz selbstverständlich, dass das zum Besten der Töchter geschehe: „So, als würde man hier zum Zahnarzt mit ihnen gehen, was für Kinder ja auch oft traumatisch ist.“

Die Frau werde allgemein in ihrer sexuellen Kraft als bedrohlich angesehen für den Mann, der in poligamen Ehen sonst leicht überfordert werden könne von so viel weiblicher Energie. Auch als Schutz vor Vergewaltigung und außerehelichem Verkehr solle die Infibulation angeblich dienen – also auch hier eher zum Schutz des männlichen Ehrgefühls.

Die körperlichen Folgen allerdings seien verheerend, zumal im Laufe eines Frauenlebens mehrfach die Vulva gewaltsam geöffnet und wieder vernäht werde: Vor dem ersten Geschlechtsverkehr ebenso wie vor beziehungsweise nach Geburten. Es komme zu Verletzungen des gesamten Urogenitaltraktes, zu Inkontinenz, Wehenstörungen, Totgeburten, Entzündungen, eben zu „Distorted Tracks“.

Eine sehr leise Aquarellarbeit des Nigerianers Sam Ovraiti zeichnet den Körper graphisch nach. Erst bauchnabelabwärts zieht Farbe ein, braun, rot, ausfließend am unteren Bildrand, hier und da mit dem Pinsel wieder fortgenommen, deutlich verstört. Die Köpfe der Frauen neigen sich farblos als rein ornamentale Form zueinander, Scham, Trauer, Trost. Viele Frauen können den sexuellen Akt nie vollziehen, andere werden steril – Gründe, die Frau zu verstoßen, was den sozialen Tod bedeutet. „Der soziale Druck ist immens, und vom Verhalten eines Mädchens bei der Beschneidung wird auf seine Qualitäten als Ehefrau geschlossen“ so Schnüll. „Ist sie duldsam und still, kann sie gut verheiratet werden.“ Eine Lösung könne nur aus den afrikanischen Gesellschaften selbst und ihren religiösen Führern kommen.

Diesen Druck thematisieren fast alle Gemälde der Ausstellung, in bildlicher Allegorie. Bei Manassal Imonikebe wird eine Frau von zwei Männern in eine Hütte gezogen, in der schon die Beschneiderin mit anderen Frauen wartet. Im Hintergrund: eine Wand aus Gesichtern, die sich aus dem Dunkel schälen. Surreale Kraft gewinnt diese Szene noch mal durch den Farbkontrast: Lila, Blau und Orange.

Diese kleine Sonderschau in dem abgelegenen Raum wird ergänzt durch Zitate von jungen Frauen, die ihre Erfahrungen schildern. Eindrücke, die unter die Haut fahren, auch ganz ohne Kenntnis der harten Facts. Bilder, die man so schnell nicht wieder los wird. mig