„Fußball ist wie Theater“

Heute vor 25 Jahren gelang der Fußballauswahl der DDR mit dem Gewinn der Goldmedaille bei Olympia in Montreal ihr größter Erfolg. Ein Gespräch mit dem damaligen Trainer Georg Buschner (75)

Interview RAINER HENNIES

taz: Am 31. Juli 1976 gewannen Sie mit der Auswahl der DDR das olympische Turnier. Der Höhepunkt Ihrer Laufbahn als Trainer?

Der Olympiasieg in Montreal mit dem 3:1-Sieg über Polen im Finale war besonders bedeutsam für den Fußball in der DDR. Polen war 1974 EM-Vierter und hatte 1972 Olympiagold geholt.

Was ist mit dem 1:0 im deutsch-deutschen Spiel bei der WM 1974?

Das Spiel in Hamburg war sicherlich im Nachhinein unser bekanntestes. Die Resonanz auf unseren Sieg fand ich überraschend: Im Westen hatte man sich ja mehr über unseren Sieg gefreut als in der DDR, denn Fußball war schon sehr teuer geworden und viele Leute sagten: Gut, dass der Helmut Schön mal einen draufgekriegt hat.

Und Sie?

Fußball ist wie Theater. Man steht auf der Bühne und genießt den rauschenden Triumph des Erfolges. Man will den Applaus und man kostet ihn aus.

Warum spielte Fußball in der DDR nicht die große Rolle wie im Westen?

Ein richtiger Volks- und Massensport wurde Fußball nicht, weil sehr viel Aufwand getrieben werden musste. Das mochten die staatlichen Stellen nicht. Was zählte, war der Einzelsport, die Einzelmedaille bei Olympia. Davon konnte man mehr holen und das wurde zur nationalen Prestigefrage. Etwas anders war es beim Handball aufgrund der Traditionen und der nur kleinen Spielfelder und Hallen, die man dafür benötigte. So etwas war schnell zu machen.

Sie haben als Trainer bei den Fußballern das Zirkeltraining eingeführt, sich mit den Dimensionen von Kraft und Schnelligkeit intensiver auseinander gesetzt als viele Kollegen.

Es gibt noch heute viele Trainer, die nehmen diese sportwissenschaftlichen Zusammenhänge viel zu leicht. Deshalb auch die Probleme im Talentbereich heute. Sicher und selbstbewusst ist der physisch Starke, nicht der Schwache. Weil ich mit meinen Spielern mehr an der Physis gearbeitet habe als andere, wurden wir mit Jena die dominierende Mannschaft im Osten. Mit Jena bin ich in zwölf Trainerjahren dreimal Meister geworden, habe zwei Pokale gewonnen und den Verein im Europapokal etabliert. Deswegen bekamen wir auch eine starke Auswahl. Sechs, sieben Nationalspieler aus Jena stellten immer das Gerüst. Technisch waren wir nicht so gut, aber kämpferisch, und das über 90 Minuten. So haben wir 1974 die einzige WM-Qualifikation geschafft und wurden 1976 Olympiasieger.

Bedauern Sie, dass die Auswahlteams an Bedeutung verlieren?

Im Moment sind die Vereine stärker. Die Spieler verdienen ihr Geld in den Klubs, nicht in der Nationalelf. Deutschland hat zurzeit starke Klubmannschaften, nicht nur Bayern München, aber eine verhältnismäßig schwache Nationalelf. Man muss aber auch sehen, dass wir wirklich im Moment weniger Beckenbauers, Overaths und Netzers haben.

Manchester United gilt heute als Modell und Übermannschaft. Sehen Sie das auch so?

Nein, es gibt bessere Mannschaften. Bayern München hat neulich erst in allen Belangen erfolgreich gegengehalten, besonders im taktischen Bereich. Ich denke, der beste Vereinsfußball Europas wird derzeit in Spanien gespielt.

Zurück zur Vergangenheit: Angesichts der großen Erfolge mit Carl Zeiss Jena zu Ihrer Zeit muss Ihnen heute doch das Herz bluten, wenn Sie sehen, wie im Ernst-Abbe-Stadion eine Mannschaft spielt, die gerade aus der Regionalliga abgestiegen ist.

Das Herz blutet, wenn man an den Fußball in Jena denkt. Es ist alles kaputt, und durch eigenes Verschulden. Hinter dem Niedergang steckt kein Ost-West-Problem. Dahinter stecken viele Fehler auf örtlicher Ebene, bei Trainern und bei Funktionären.

Hätten Sie nicht eingreifen und helfen können?

Nein, wenn Schluss ist, ist Schluss. Als man mich 1981 von der Nationalmannschaft suspendierte aufgrund der Schwierigkeiten mit dem Staat, kam das einem Berufsverbot gleich. Verschiedene Klubs hätten gerne mit mir weitergearbeitet. Aber die staatlichen Stellen hatten jede Möglichkeit blockiert. Auch Möglichkeiten im Ausland zu arbeiten gab es nicht. Man hatte mir meinen Pass weggenommen. Ich durfte nicht einmal mehr verreisen. Eine Abschiebung war nicht möglich, weil ich zu bekannt und populär war. Eine Flucht kam nicht in Frage.

Werder Bremen war trotzdem mal an Ihnen dran zwecks Talentsichtung.

In den 70er- und 80er-Jahren war das so. Das hätte mich sogar gereizt. Aber die staatlichen Stellen haben alles so gut abgeblockt, dass ich selbst erst 1989 davon erfahren habe. Aber Fakt ist auch: Ich war damals schon über 60 Jahre alt. Man muss auch loslassen können. Da sollen Jüngere ran. Fußball ist in dem Alter nichts mehr für mich.