Die Grätsche als oberstes Stilmittel

Beim 0 : 0 zum Saisonauftakt gegen den enttäuschten Meisterschaftsfavoriten Hertha BSC unterstreicht der Aufsteiger FC St. Pauli sogleich, wie er den Klassenerhalt zu schaffen gedenkt: mit dem guten alten Millerntor-Kampfgeist

HAMBURG taz ■ Wer die Meisterschaft gewinnen will, darf sich nicht blöd anstellen. Diese Erkenntnis bleibt Hertha BSC Berlin nach dem Spiel beim FC St. Pauli am Sonntag. Es wäre so einfach gewesen, den Aufsteiger zu schlagen, dürften die Spieler von Trainer Jürgen Röber nach dem Match geflucht haben. Stattdessen haben sie sich gefühlt wie vor 1989: Immer wenn sie am Strafraum der Hanseaten ankamen, rannten sie gegen eine Mauer.

Denn wenn ein Mannschaftsteil der St. Paulianer schon zu Saisonbeginn bundesligatauglich war, dann die Abwehr. Eher resolut, aber durchaus erfolgreich zeigte diese den Berliner Angreifern Michael Preetz und Alex Alves, wie am Millerntor gespielt wird. Denn ein Stilmittel kam besonders häufig zum Einsatz: die Grätsche. Bereits nach zwei Minuten trennte Daniel Scheinhardt Jungstar Sebastian Deisler vom Ball und machte ihm klar, dass mit Schönspielerei kein Zweikampf und schon gar nicht das Spiel zu gewinnen sei. Die Präzision, mit der Henning Bürger dem alleine auf das Tor zueilenden Preetz von hinten den Ball wegspitzelte, ohne ihn zu foulen; die Kraft, mit der Libero Holger Stanislawski bei einem Pressschlag gegenhielt – das zeigt schon jetzt, mit welchem Mittel der FC St. Pauli den Klassenerhalt erreichen will: dem guten alten Kampfgeist. Und tatsächlich gab es am Sonntag nur wenige Spieler im Team von Dietmar Demuth, denen man spielerisch eine tragende Rolle in der Bundesliga zutraut. Scheinhardt war einer davon. Bürger zeigte, dass er neben laufen auch noch Fußball spielen kann. Christian Rahn, der Flitzer auf dem linken Flügel, bewies, warum der Stadtrivale Hamburger SV gut daran tat, ihn schon jetzt für die kommende Saison zu verpflichten. Für den Rest der Mannschaft gilt: viel bewegt, wenig erreicht.

Exemplarisch dafür steht der Sturm. Während in der zweiten Liga Marcel Raths unermüdlicher Einsatz genügte, um mit 15 Treffern bester Angreifer von St. Pauli zu werden, zeigt sich nun, dass er auf der fußballerischen Seite noch tüchtig zulegen muss. Aber nicht nur individuell, auch taktisch fehlt dem Klub mit dem kleinsten Etat der Liga noch einiges. Die Löcher im Mittelfeld waren nicht zu übersehen. Dadurch blieb die Abstimmung in der Defensive Glücksache. Glücksache, weil Hertha mit der Überlegenheit und den freundlich zur Verfügung gestellten Räumen nichts Vernünftiges anzufangen wusste. Oder wie es Libero Holger Stanislawski ausdrückte: „Hertha hatte 70 Prozent der Spielanteile – genutzt hat es ihnen nix.“ Doch auch im Sturm lief bei St. Pauli noch nicht viel zusammen. „Wir sind keine spielerische Mannschaft“, blaffte Demuth nach Spielschluss. Doch ob es tatsächlich das Mittel der Wahl ist, dass der, wiewohl vorzüglich haltende neue Torhüter Tihomir Bulat jeden abgefangenen Ball in die Spitze drischt? Wo doch am Sonntag zumindest die Berliner Abwehrspieler Marko Rehmer und Kostas Konstandinidis jeden dieser Bälle per Kopf wieder zurückexpedierten.

Der FC St. Pauli hat sich vorläufig positioniert im Feld der Bundesligisten. Irgendwo in der unteren Hälfte. Wenn er spielerisch zulegt, sollte der Klassenerhalt kein Problem sein. Wenn die martialische Devise weiterhin nur lautet: Kampf!, dann gehen am achten Spieltag die Kräfte aus. Und dann hätte sogar ein Meisterschaftskandidat wie Hertha BSC Berlin Chancen, die Hanseaten zu schlagen.

EBERHARD SPOHD