Anderes Ufer neu vermessen

Ab heute darf geheiratet werden. Und die Homos feiern auch noch ihre Pantoffeligkeit

Mit konziliantem Lächeln wird warmherzig gefragt: „Na, wirst du jetzt auch heiraten?“

Das Bild ist derzeit in der Bonner Kunsthalle zu sehen: Ein Mann, nur mit einer kleinen Schürze und Sportsocken bekleidet, greift nach seinem Partner unter der Dusche. „Domestic Scene, Los Angeles“, heißt das Bild von David Hockney von 1963. Mit dieser Momentaufnahme schwulen häuslichen Lebens ist es ab heute vorbei. Zwar trägt der eine jetzt weiterhin seine Schürze, steht aber damit am Küchenherd, während sein Partner ein Zimmer weiter auf das Abendessen wartet. Derlei Bilder homosexuellen Lebens haben jetzt Hochkonjunktur, und alle tun so, als sei es nie anders gewesen – Hockneys „Los Angeles“ hängt im Museum. Es gibt sogar Fernsehsender, die ausdrücklich bei ihrer Homoehen-Berichterstattung auf der mann-männlichen Bauknecht-Idylle bestehen, aber zwei küssende Männer (oder Frauen) ihren Zuschauern nicht zumuten wollen.

Ein historischer Tag für Homosexuelle in Deutschland: So kann man heute hören und lesen. Die Medien und die ihr angeschlossene heterosexuelle Öffentlichkeit sind trunken von ihrem großherzigen Akt der Toleranz, Lesben und Schwulen die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ zu gewähren. Zwar wagt das einmalige Gebilde nicht einmal die Dinge beim einfachen Namen zu nennen, zwar ist die juristische Konstruktion schon auf den ersten Blick eine handwerklich miserable Ausgestaltung der generösen Idee und letztlich nur ein suspektes Sondergesetz, das homosexuelle Paare auf unabsehbare Zeit als Paare zweiter Klasse festschreibt. Und doch: In den Begegnungen zwischen Hetero- und Homosexuellen spielen sich dieser Tage überall die gleichen Szenen ab. Mit konziliantem Lächeln schreiten die einen auf die anderen zu und fragen – halb geflüstert und warmherzig bis ins Mark: „Na, wirst du jetzt auch heiraten?“ Was? Wie bitte? Da hat man ihnen den Vorzeige-Homo gegeben, über Jahre und Jahrzehnte, und das soll die Summe aller gemeinsamen Erfahrungen sein? Man möchte aufschreien vor Wut und Enttäuschung, bleibt aber moderat: Dafür haben wir vor dreißig Jahren nicht unsere Ärsche aus den Klappen bewegt, um heute ein gemeinsames Namensschild an die Tür zu schrauben, nicht in Messing und auch nicht in Gold. Doch die Überzeugung bei unseren heterosexuellen Freunden, dass es sich hierbei um Fortschritt handelt, sitzt tief. Und bei ihrem milden Lächeln möchte man meinen, es sei nichts weiter als diabolische Freude darüber, endlich die anderen auch in das Elend zu stoßen, aus dem sie sich selbst nie befreit haben.

Für Homosexuelle – Frauen und Männer – gilt der Tag uneingeschränkt als Tag der Freude. Anerkennung! Endlich! Das Verlangen danach ist so stark ausgeprägt, dass jede Geste angenommen wird, egal wie billig sie ist, egal wie kleinmütig. Die so genannte Hamburger Ehe beispielsweise: ein Stück Papier der hanseatischen Behörde mit Stempel und sonst gar nichts – die Homosexuellen haben sich gefreut darüber wie die Kinder. Würde man ihnen staatlicherseits die exklusiven Anbaurechte für Frühlingszwiebeln überlassen, sie wären nicht weniger glücklich. Und trotzdem ist ernsthaft kein Homosexueller so naiv – nicht einmal die konservativen Lobbyisten der Homoehe – zu glauben, mit dem neuen Rechtsgebilde sei das Ende der Diskriminierung erreicht.

Hat doch die ganze Debatte um die Homoehe bewiesen, wie weit die Gegenseite entfernt ist von homosexuellen Lebenswelten. Und wie gering das Interesse ist, sich auch nur ein wenig anzunähern. Wie bei der SPD: Bis in ihre jüngste Geschichte hat sich diese Partei als konsequent homophob profiliert, und jetzt hat ihnen der Koalitionspartner dieses Kuckucksei beschert, das sie mit leichter Hand durchreichen in dem Moment, als ihnen klar wird, mit wie wenig Aufwand so viel an fortschrittlichem Image zu gewinnen ist. Mit welcher Gesinnung dabei vorgegangen wird, demonstrierte die Herrin der Justiz, Herta Däubler-Gmelin, unlängst in ihrem Grußwort an das schwule Chorfestival in Berlin: „Es ist an der Zeit“, rief sie den Sängern zu, „dass allgemein anerkannt wird, dass auch in lesbischen und schwulen Lebensgemeinschaften Liebe, Geborgenheit, Anerkennung und Wärme vorzufinden ist.“ Na vielen Dank aber auch, möchte man zurückrufen. Was hatten Sie denn erwartet? Sodom und Gomorrha? Das Hempel’sche Chaos unter dem schwulen Sofa?

Den Grünen ist der konservative Teil der Schwulenbewegung zugefallen wie ein Apfelstrunk, dann zog die ehrgeizige Partei die Schwulen über den Tisch und legte die bereinigte Homofrage in die Hände ihres Betriebsschwulen Volker Beck. Der hat die Chance genutzt, vor allem für sich, und noch in der Bundestagsdebatte über die Homoehe die Öffentlichkeit belogen: „Heute, wo der Verfolgungsdruck weg ist, lebt die Mehrheit der Lesben und Schwulen in festen Beziehungen.“ Zur Unterstützung hat die Partei mit Krista Sager, Claudia Roth und Kerstin Müller eine Phalanx der Homomuttis vorgeschoben, die genau die Szene-Akzeptanz hat, dass man ihre Gefühlsduselei glaubt: „Und? Ihr seid doch jetzt auch froh, dass ihr heiraten dürft, gell!“

Niemand hat Grund, stolz zu sein auf diese „eingetragene Lebenspartnerschaft“, es als das Ende der Diskriminierung zu feiern, ist blanker Zynismus. Ungleichheit wird damit offiziell zementiert, und die Chance einer längst überfälligen juristischen Gleichstellung ist auf lange Zeit vertan. Und die Homos? Als seien ihnen die selbst gemachten Hierarchien nicht schon Last genug, lassen sich jetzt auch noch von außen teilen, in die Guten und die weniger Guten, in die anständigen Paare und die Hedonisten, Promisken und Unbelehrbaren. Das andere Ufer wird neu vermessen. Was für ein Tag! ELMAR KRAUSHAAR