Leider war das Licht aus

Italienische Regierungsinspektoren legen ihre Berichte über den Polizeieinsatz in Genua vor. Sie zeigen viel Verständnis für die knüppelnden Beamten. Welche Rolle spielte der stellvertretende Ministerpräsident und Postfaschist Gianfranco Fini?

aus Rom MICHAEL BRAUN

Die italienische Regierung beginnt mit der internen Untersuchung des Polizeieinsatzes in Genua. Gestern legten die drei von Ministerpräsident Silvio Berlusconi in die Stadt entsandten Inspektoren dem Polizeichef Gianni De Gennaro ihre Berichte vor. Anders als tagelang von der Regierung behauptet, kommen auch sie nicht umhin, der Polizei „Irrtümer“ und „Versäumnisse“ vorzuwerfen – ein hübscher Euphemismus für die Gewaltakte gegenüber Globalisierungskritikern während des G-8-Gipfels.

Nach der Einvernahme von Zeugen aus den Reihen der Einsatzkräfte – nicht von Opfern – sowie der Sichtung umfangreichen Bildmaterials kristallisiert sich auch für die Inspektoren heraus, dass sowohl während der Demonstrationen als auch während des Sturms auf den Sitz des Genoa Social Forum und die gegenüberliegende Schule Polizeibeamte sich zahlreicher Übergriffe schuldig machten.

Doch über die Rekonstruktion der Befehlsketten gehen die Berichte nicht hinaus. Zugleich bieten sie der entschuldigenden Polizeiversion breiten Raum. So sei der Eingang zur Schule verbarrikadiert gewesen, und „einige“ Insassen hätten Widerstand geleistet. Leider sei das Licht ausgeschaltet gewesen, weshalb die Polizei dann so gut wie alle in der Schule Anwesenden krankenhausreif schlagen musste.

Nach den Berichten ist wohl zu erwarten, dass einige Köpfe in der Polizeiführung rollen. Die Staatsanwaltschaft ließ schon verlauten, dass sich die Identifizierung der Beamten sehr schwierig gestalte: In der Schule hatten sich die Polizisten alle das Halstuch vors Gesicht gezogen, das sinnigerweise zur Standardausstattung der Beamten gehört. Und die Beamten, die während der Demonstrationen zuschlugen, trugen oft Gasmasken.

Das absurdeste Kapitel aber ist die Polizeikaserne Bolzaneto. Dort wurden viele Festgenommene nach eigenen Aussagen oft stundenlang misshandelt. Im Einsatz waren einerseits Einheiten der Polizei, andererseits Einheiten der Gefängnispolizei, die die Gefangenen nach der erkennungsdienstlichen Behandlung übernahmen. Und beide Seiten schwören jetzt, wenn überhaupt, hätten sich die jeweils andren danebenbenommen.

Ergiebiger als die Aufklärung des „Fehlverhaltens“ einzelner Beamter ist die Frage nach den Verantwortlichkeiten in Politik und Polizei. So wurde bekannt, dass der Polizeichef Gianni De Gennaro die strikte Weisung ausgegeben hatte, auf die Verfolgung einzelner Demonstranten zu verzichten. Genau das Gegenteil geschah in Genua: Immer wieder wurden isolierte Demonstranten von Polizisten bis in Höfe und Hauseingänge gehetzt und dann zusammengeschlagen. Außerdem zeigen jetzt Fotos, was schon seit dem Tag des tragischen Ereignisses bekannt war: Jener Carabinieri-Jeep, aus dem der tödliche Schuss auf Carlo Giuliani fiel, war keineswegs isoliert. Wenige Meter entfernt stand eine große Carabinieri-Einheit, und auf der andren Seite verfolgte ein Polizeitrupp vollkommen untätig das Geschehen.

Damit ist die Frage aufgeworfen, ob es in Genua parallele Befehlsketten gab. Von der Regierungsseite war Gianfranco Fini, stellvertretender Ministerpräsident von der postfaschistischen Alleanza Nazionale, politisch verantwortlich für den Einsatz der Polizei. Er hätte die Frage zu beantworten, welche Botschaft er den Beamten vor ihren Einsätzen mitgegeben hat. Mehrere Demonstranten wurden nach ihren Aussagen mit den Worten verprügelt: „Jetzt weht ein neuer Wind. Für euch Linke ist kein Platz mehr in Italien.“