Comeback für Latein

Ab heute gilt in Aserbaidschan das lateinische Alphabet. Russischsprachige Bewohner fürchten Diskriminierung

BERLIN taz ■ In den Städten Aserbaidschans patrouillieren Polizisten dieser Tage in einer Mission ganz besonderer Art. Nicht alltäglichen Delikten wie Raub, Diebstahl oder Überfällen gilt ihr besonderes Interesse, sondern Plakaten und Beschilderungen von Geschäften und Einrichtungen aller Art. Ab heute gilt in der Kaukasusrepublik nicht mehr das kyrillische, sondern das lateinische Alphabet. Ein entsprechendes Dekret war von Staatspräsident Gaidar Alijew im vergangenen Juni unterzeichnet worden.

Die so genannten Sprachpolizisten sind nunmehr angehalten, Ladenbesitzer dazu aufzufordern, ihre Schilder zu wechseln oder notfalls selbst Hand anzulegen, um kyrillisch geschriebene Werbungen oder Veranstaltungshinweise zu entfernen. Auch alle anderen Bereiche sind von der Umstellung betroffen. So müssen fortan alle offiziellen Dokumente, aserbaidschanischsprachige Zeitungen und Zeitschriften und Bücher in lateinischer Schrift abgefasst sein.

Der Alphabetswechsel ist in Aserbaidschan keine Premiere. Nachdem sie jahrhundertelang arabisch geschrieben hatten, verwendeten die Aserbaidschaner ab 1929 ein Jahrzehnt lang die lateinische Schrift und führten 1939 auf Anweisung Stalins das kyrillische Alphabet ein. Schon seit dem Ende der Sowjetunion 1991 und der Unabhängigkeit Aserbaidschans gibt es in Baku Bestrebungen, zum Lateinischen zu wechseln – so, wie es die Türkei bereits 1928 getan hat. Zur Familie der Turksprachen gehören neben Aserbaidschanisch und Türkisch unter anderem auch Turkmenisch und Usbekisch. Diese beiden Länder hatten vor einigen Jahren das lateinische Alphabet eingeführt.

Doch bei weitem nicht alle Bewohner des 7,7-Millionen-Einwohner-Staates begrüßen die Umstellung der Schrift. Insbesondere russischsprachige Bürger, die rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, haben Angst vor massiver Diskriminierung und fürchten, Menschen zweiter Klasse zu werden. Durch den Wechsel des Alphabets werde es für sie schwieriger, geschriebenes Aserbaidschanisch zu verstehen. Das werde auch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich verringern, lautet ein Argument. Schon jetzt rechnen beispielsweise Lehrer an russischsprachigen Grundschulen damit, dass die Zahl der Neuanmeldungen stark zurückgehen wird und Arbeitsplätze dadurch gefährdet sind.

Doch ein Zurück gibt es nicht mehr, zumal schon ein Großteil der Druckereien umgestellt ist. Überdies geht es der Staatsführung ja auch um etwas anderes: Mit der Reform soll der Einfluss der russischen Kultur zurückgedrängt werden – auch um den Preis der Marginalisierung einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung. BARBARA OERTEL