Schläge von der Pflegerin? Anrufen!

Das Krisentelefon in Hannover, das älteren Menschen Hilfe gegen häusliche Gewalt bietet, soll Vorbild werden

HANNOVER taz ■ Rund 600.000 ältere Menschen pro Jahr werden in Deutschland Opfer von Gewalt ihnen nahe stehender Personen. Das berichtete gestern Bundesfamilienministerin Christine Bergmann in Hannover. Mehr als die Hälfte der Betroffenen hat unter körperlichen Attacken zu leiden. Die anderen mussten Freiheitseinschränkungen, seelische Misshandlungen oder finanzielle Abzockereien durch Angehörige, Nachbarn oder Pflegende über sich ergehen lassen.

Die SPD-Familienministerin rief dazu auf, die Gewalt gegen Ältere zu enttabuisieren. Dazu sollen die Ergebnisse eines Modellprojektes, das jetzt in Hannover abgeschlossen wird, auf andere Städte und Regionen übertragen werden. Im Rahmen des dreijährigen Projektes, für das der Bund eine Million und die Stadt 700.000 Mark zahlten, waren in Hannover ein häuslicher Unstützungsdienst, Stadtteilsprechstunden und ein anonymes Krisentelefon für ältere Menschen eingerichtet worden. Die fünf Mitarbeiter konnten in den vergangenen drei Jahren bei etwa 400 Notfällen Hilfestellung leisten. In etwa 30 Prozent der Fälle ging es tatsächlich um körperliche Gewalt gegen ältere Menschen. Diese entstehe oftmals aus einer Spirale von Überlastung und Isolation, sagte Björn Hagen vom hannoverschen Kommunalen Sozialdienst. Er schilderte den Fall eines seit 40 Jahren verheirateten Paares: Der Mann, gehbehinderter Dialysepatient, fügte seiner stark schwerhörigen Frau durch Schläge Knochenbrüche zu.

Hannovers Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg sicherte gestern zu, dass die Hilfsangebote für Ältere in seiner Stadt auch nach dem Ende des Modellprojektes fortgeführt werden. Ministerin Bergmann verwies auf die Zuständigkeit der Kommunen und Länder in diesem Bereich und will selbst keine Nachfolgeprojekte finanzieren.

JÜRGEN VOGES