Warum sich Berlin über Prag ärgert

Die scharfe tschechische Kritik an der Bewertung des AKW Temelin überrascht das Umweltministerium

BERLIN taz ■ „Diffamierend“. Dieses Wort steht seit gestern zwischen Deutschland und Tschechien. „Unverständlich“ sei die Kritik Prags, erklärte das Berliner Umweltministerium, „ärgerlich“ ihr Populismus. Und eben „diffamierend“.

Es geht um eine Stellungnahme der Bundesrepublik zum tschechischen Atomkraftwerk Temelín. Ende letzten Jahres hatten sich Österreichs Kanzler Wolfgang Schüssel, Tschechiens Premier Miloš Zeman und EU-Kommissar Günter Verheugen getroffen, um das Vorgehen beim Streit um das störanfällige AKW abzustimmen. Herausgekommen war das „Protokoll von Melk“, in dessen Abschnitt V eine Umweltverträglichkeitsprüfung vereinbart wurde. An ihr, so hieß es, sollten sich auch die Nachbarstaaten Tschechiens beteiligen.

Seit kurzem liegt nun die Untersuchung vor. Umweltminister Jürgen Trittin fasst das Ergebnis so zusammen: „Eine Anlage wie Temelín wäre in Deutschland nicht genehmigungsfähig.“ Die Stellungnahme listet eine Reihe von sicherheitstechnischen Bedenken auf. Zudem gebe es „Defizite, die einer Genehmigung des Atomkraftwerkes nach internationalen Standards engegenstehen“. Entsprechend sah sich die Bundesregierung veranlasst, eindringlich an die tschechische Regierung zu appellieren, „das Atomkraftwerk stillzulegen“.

Abgestimmt wurde die Stellungnahme zwischen Bundeswirtschafts- und Umweltministerium, Kanzler- und Auswärtigem Amt. Ausdrücklich erkennt die Bundesrepublik „das Recht der Tschechischen Republik“ an, „über die Nutzung der Kernenergie“ selbst zu entscheiden. Und: Die AKW-Frage werde in keiner Weise mit den laufenden Beitrittsverhandlungen zur EU verknüpft. Allerdings sorgte dann ausgerechnet Außenminister Joschka Fischer für Irritationen. Auf einem Forum der Mittelbayerischen Zeitung zur EU-Osterweiterung hatte er erklärt: „Wir wollen, dass der Reaktor vom Netz genommen wird.“

Diese Äußerung sorgte nicht nur in Prag für Auffregung. Auch Österreich nützte sie zur Untermauerung der eigenen Politik. „Gemäß dem deutschen Vorbild ist eine eigene österreichische Aufforderung zur Temelín-Stilllegung sicherlich machbar“, erklärte der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Püringer von der ÖVP. Entscheidend aber sei, dass das große Deutschland jetzt „den Hebel bei der EU ansetzt“. Er sei dafür, „dass man eine EU-Initiative für den Temelín-Ausstieg startet“.

Wesentlich offensiver geht die andere Regierungspartei vor. Mit den Worten „In der Temelín-Frage geht es um lebenswichtige Interessen der Österreicher“ warb FPÖ-Generalsekretärin Theresia Zierler gestern für ein Volksbegehren. Dieses soll erzwingen, dass Österreich einem EU-Beitritt Tschechiens nur zustimmt, wenn Temelín abgeschaltet wird. Überschrift: „Österreich darf nicht Tschernobyl werden“. Kärntens Regierungschef Haider: „Für uns ist die Stilllegung von Temelín Voraussetzung für die Erweiterung der EU nach Osten.“

Kanzler Schüssel bemühte sich gestern um neue Sachlichkeit. „Mich stört jede Form der Veto-Drohung, weil sie unsinnig ist, weil sie uns schadet, weil sie Temelín nicht sicherer macht und weil sie Österreich nicht ins Herz Europas hineinbringt, sondern an der Peripherie fixiert.“ Seine Partei lehnt wie auch Österreichs Umweltbewegung den FPÖ-Vorstoß als „diffamierend“ ab.

Da war es wieder, das Wort. In Berlin erklärte BMU-Sprecher Martin Waldhausen: „Wir haben doch nur die Stellungnahme abgegeben, die die Tschechen von uns wollten.“ Diese sei heute noch genauso wie vor einem Jahr. Mit einem Unterschied: Es gibt sie jetzt schwarz auf weiß. NICK REIMER