Du kannst auch Mutter sagen

Endlich zieht bei Schwulen und Lesben auch die Kultur der Rosenkriege ein

von JAN FEDDERSEN
und REINHARD KRAUSE

Eigentlich stehen Homosexuelle bei den Konsvervativen eher im Ruf grell, schrill und anstößig zu sein. Umso verwunderlicher waren die Worte, mit denen Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) begründete, warum Schwule und Lesben Partnerschaften in seinem Land künftig beim Notar eintragen müssen: „Es ist beim Notar möglich“, hatte Beckstein vergangene Woche ausgeführt, „die Sache vertraulich zu gestalten, ohne großes Tamtam, das sicher viele Paare auch gar nicht wollen.“

Aha, Homosexuelle können es also auch ohne Tamtam. Jedoch: Worte wie „die Sache“ und „vertraulich“ stehen dann wieder in der Tradition von heimlichtuerischer Ausgrenzung.

Auch wenn es Günther Beckstein vermutlich nicht nett gemeint hat, widerspricht der Satz des Innenministers nicht vollkommen der homosexuellen Lebenswirklichkeit. Denn das Tamtam – vertraulich oder nicht – gewinnt mit der eingetragenen Partnerschaft einen neue Qualität: Der offizöse und rechtliche Segen will erst eingeübt sein – so wie einst in der Schwulenbewegung auch das Tamtam der Provokation. Das öffentliche Bekenntnis zum Partner, zur Partnerin hat ein anderes Gewicht als das Bekenntnis zum halbwegs abstrakten „So-Sein“, wie es etwa auf den Christopher-Street-Day-Umzügen Usus geworden ist. Die Bilder von geckenhaft befrackten Bräutigampaaren von der „Lindenstraße“ bis zum Spiegel jedenfalls sind nicht unbedingt nach dem Geschmack eines jeden Schwulen, einer jeden Lesbe. Was vielleicht als Parodie eines spießigen Aktes gemeint sein mag, wirkt schnell selbst spießig.

Der eheliche Alltag wird nach Durchschreiten des Eingangsportals namens „eingetragene Lebenspartnerschaft“ ohnehin kaum noch etwas zu tun haben mit Hochzeitskitsch und Honeymoon auf den Fotos, wie sie jetzt in allen Zeitungen gedruckt werden. Das ist eine Binsenweisheit, gewiss. Neu wird für Homopaare aber auch weniger der Umstand sein, die falsch ausgedrückte Zahnpasta des oder der Liebsten tagtäglich zu ertragen – solche Alltagshürden zu nehmen, haben Schwule und Lesben genauso eingeübt wie Heteropaare. Neu wird viel eher die Verbindlichkeit sein, die mit der verbreiteten Vorstellung von Ehe verknüpft wird.

Da ist das Beispiel Familie: Das Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft schafft plötzlich Verwandtschaftsverhältnisse. Jahrzehntelang konnten Eltern Homosexueller das Private ihrer Kinder aus der Privatheit der Familie verbannen: „Thomas, das ist dein Privates“ – so einfach geht es künftig nicht mehr. Und auf der anderen Seite bekommt das Paar mit einem Mal Schwiegereltern, wo früher nur „deine Eltern“ waren. Meine Familie, deine Familie, das lässt sich fortan nicht mehr so einfach auseinander dividieren. Was nur, wenn die Schwiegermutter mit dem vertraulichen Du oder – noch schlimmer – einem „Du-kannst-auch-Mutter-sagen“ um die Ecke kommt?

Es muss sich erst noch herausstellen, ob diese neuen Verhältnisse von den heterosexuellen Herkunftsfamilien die größere Anpassungsleistung erfordern werden oder von den Homopaaren. Das einstmals „Private“ wird nicht mehr ganz so privat bleiben – es sei denn, das Paar wehret gleich den Anfängen, bringt „die Sache“ ohne Familie hinter sich und schafft nun seinerseits Ausgrenzung.

Vom Jawort an gilt es in jeder Partnerschaft, noch ganz andere seelische Kraftfelder zu bedenken: die Familie, diese Schutzgemeinschaft im besten und schlechtesten Sinne. Horror und Freude zugleich. Mütter, die sich einmischen. Väter, die um keinen Ratschlag verlegen sind. Geschwister. Tanten. Onkels. Alles plötzlich doppelt. Familienfeste. Geburtstage. Wohin gehen wir Weihnachten? Was machen wir an Ostern? Wer ist beleidigt, wenn man nicht kommt? Das sind andere Verhältnisse als solche von Freundschaftsnetzwerken. Viel näher und viel ferner zugleich. Tausende schwule und lesbische Paare wollen sich diesen Verhältnissen aussetzen – sie genießen und an ihnen leiden. Das wird die neue Normalität sein. In guten wie in schlechten Zeiten.

„Thomas, das ist dein Privates“ – so einfach geht es in den Familien nicht mehr

Und ebendieses, zwar auf keinem Standesamt formulierte, aber doch insgeheim immer mitgemeinte Bekenntnis zum dauerhaften Anteilnehmen gilt ja auch bei der Vermischung der Portemonnaie-Inhalte – sofern man oder frau nicht notariell beglaubigt Gütertrennung vereinbart hat. Jetzt gibt es keine zwei Gehälter mehr. Umständliche Rechnereien am Monatsende („Ich hab die Miete gezahlt, du bist jetzt mit der Autoversicherung dran“) können und sollen entfallen – was bilaterales Vertrauen voraussetzt, welches wiederum schwer erschüttert werden kann, wenn der oder die eine über die Verhältnisse konsumiert.

Autonomie, heiligstes Gut aller modernen Menschen, wird ein Stück weit suspendiert – und ebendies wird für viele schwule und lesbische Paare wohl gewöhnungsbedürftig sein. Aber weshalb auch nicht? Heterosexuelle Paare leiden die ersten Monate ja auch häufig darunter, dass das Singleleben ein Ende hat.

Und wer es doch allzu stark vermisst, dem oder der bleibt ja am Ende die Scheidung. Trennung wäre das falsche Wort. Nein, was einmal mit einem Jawort besiegelt wurde, soll mit einem Nein entzweit werden. Die Kultur der richtigen Rosenkriege wird damit endlich auch in die homosexuelle Gemeinde getragen. Vorbei die Zeiten, da man mit einem „Lass uns doch Freunde bleiben“ dem anderen den Laufpass gibt. Jetzt, wo es auch ums liebe, neuerdings auch gemeinsame Geld geht, kann richtig schmutzige Wäsche gewaschen werden, öffentlich und unter Anteilnahme der beidseitigen Verwandtschaften. Und das ist vielleicht auch gesünder so: Klare Schnitte sind besser als lähmende Trennungszeremonien, bei denen unentwegt Verständnis für die Macken des anderen aufgebracht werden muss. Eine ordentliche Scheidung, bei der es kracht, macht auch den Weg für eine neue Liebe frei.

Und wo bleibt in dieser Geschichte der Sex? Darf die Leserschaft nicht erwarten, Homosexuelles auch mit Intimem erzählt zu bekommen? Lebenspartnerschaften, diese Ehen für Schwule und Lesben, werden ebendies zu überprüfen haben: dass der Sex in Ehen meist intensiver ist als beim One-Night-Stand. Dass das Prickeln irgendwann fehlt. Möglich. Oder auch nicht. Jedes Paar ist verschieden. Homosexuelle Paare werden einander treu sein oder nicht. Sie werden zur Seite springen und es reuen. Sie werden lügen und die Wahrheit beichten. Ganz wie im richtigen Heteroleben.