Herumklöppeln auf Marx

■ Freejazz & Marxismus: Der sonderbare Dokumentarfilm „Konzert im Freien“ erinnert nicht nur an musikalische Schrägheiten der DDR

Neben den Hammerschlägen gegen die Mauer ist ein zweites Bild zum Symbol für den Untergang des real existierenden Sozialismus geworden: eine monumentale Leninbüste, die am Haken eines Krans hängend, vom Sockel gehoben und auf den Schrotthaufen verfrachtet wird. Ein Spiegelbild dazu gibt es in „Konzert im Freien“: Die Bronzeabgüsse von Marx und Engels, die den Kern eines ehrgeizigen Denkmalprojekts in Ostberlin bilden, schweben am Kran durch die Lüfte, um so zu ihrem Standplatz transportiert zu werden. Diese Bilder filmte Jürgen Böttcher 1986 als den krönenden Abschluss seiner Auftragsarbeit, bei der er mit der Kamera die Entstehung des Denkmals begleiten und dokumentieren sollte. Er filmte damals eher lustlos, das merkt man den Bildern von den Arbeiten der Bildhauer, Bronzegießer, Transporteure usw. an, und diese wurden auch nie zu einem Film zusammengeschnitten oder gar öffentlich gezeigt. Das „Marx-Engels-Forum“ zwischen Marienkirche und Rotem Rathaus war beim Politbüro nicht beliebt.

Die beiden Urväter des Kommunismus wirken nicht heroisch genug, sondern eher wie zwei etwas dröge aber nette Opas. Deswegen stehen sie wohl auch heute noch an ihrer Stelle – ein wirklich monumentales Agitprop-Denkmal wäre schon längst (wie all die riesigen Leninstatuen) abgeräumt worden.

Heute bleibt also ein fast schon rührend anachronistisches Denkmal und viele Meter belichteten Films von Böttcher, und den muss es gewurmt haben, all diese Aufnahmen umsonst gemacht zu haben. So kam er auf die Idee, sie mit neuen Bildern vom Denkmal zu einer Collage zu verbinden. Und ebenso wie seine Bilder wird hier noch ein anderer Aspekt typischer DDR-Kultur wiederverwendet, denn er zeigt, wie zwei Heroen des DDR-Free-Jazz, der Schlagzeuger Günther „Baby“ Sommer und der Saxophonist Dietmar Diesner vor den in Bronze gegossenen Marx und Engels ein „Konzert im Freien“ veranstalten. Dieser Titel ist natürlich doppel-, wenn nicht sogar tripelsinnig. Aber eine böse Ironie der Zeitläufe führte dazu, dass der „freie“ Jazz der DDR in den „freien“ neuen Bundesländern kaum noch jemanden interessierte. Sommer und Diesner waren einmal gefeierte Musiker. Ihre ruppig, spröde, anarchistische Musik drückte Widerstand gegen das Bestehende aus, Open-Air-Veranstaltungen in dem Free-Jazz-Mekka Peitz bei Cottbus waren Massenveranstaltungen. Heute hören ihre Töne nur noch ein paar eingefleischte Jazz-Puristen. So ist auch ihr Auftritt im Film ein Anachronismus und stehen sie vor Marx und Engels genau richtig, so ist „Konzert im Freien“ ein großer elegischer Abgesang auf die Kultur der DDR – im Guten wie im Schlechten. Denn vieles von dem, was Sommer und Diesner da improvisieren, lässt sich auch heute noch durchaus hören. Elegische Balladenstimmungen, ins Chaotisch-Absurde geführte sozialistische Heilsgesänge, merkwürdige Instrumentierungen (einmal klötert Sommer mit einem kleinen Hämmerchen an den Bronzestatuen herum, und man denkt an Pete Seegers „If I had a hammer“), und auch einige erstaunlich melodische Passagen, die wie gute, stimmungsvolle Filmmusik wirken.

Böttcher hat die beiden mehrmals mit ihren Instrumenten vor das Denkmal gestellt, und wie esoterisch sein ganzes Projekt ist, merkt man am deutlichsten bei den Aufnahmen an einem Sommertag. Da schlendern die Passanten und Touristen ganz unbeeindruckt um das Denkmal, klettern darauf herum und nutzen es als kurioses Fotoobjekt. Die Musiker werden kaum bemerkt, keiner scheint zuzuhören, nur ein neugieriges Kleinkind stellt sich keck direkt vor die beiden Spielenden. Aber wenn der Junge schließlich einen Hubschrauber am Himmel entdeckt, ist der viel interesanter als zwei große Männer, die merkwürdige Töne machen. Wirklich eindrucksvoll wirken dagegen die Aufnahmen, die Böttcher nachts im Regen gemacht hat. Da drängt sich die Bluesstimmung geradezu auf, und Böttcher gelingen die besten Bilder des Films, die interessanterweise weder Marx noch Engels noch Sommer noch Diesner zeigen. Es sind Nahaufnahmen von in den Stahl einer Plastik eingebrannten Fotos, auf denen die Opfer von Krieg, Verfolgung, Ausbeutung zu sehen sind. Verfremdet durch die Regentropfen, die über die Bilder von Gesichtern, Demonstrationen und Erschießungen fließen. Hier spürt man Böttchers Sinn für das Groteske der ganzen Unternehmung nicht. Diese Bilder stehen für die Versprechungen, die die DDR nicht gehalten hat, die aber auch nicht durch deren Auflösung obsolet geworden sind. Wilfried Hippen

„Konzert im Freien“ läuft täglich bis Dienstag um 20.30 Uhr im Kino 46.