Filmstarts à la carte
: Überlebenswille in der Provinz

Nach dem Happy-End müsse noch weiter gefilmt werden. Damit man alles erfahre über die Familie, die Arbeit und wie es so weiter geht im Leben. Sagt Elsbeth, die ehemalige Arbeiterin in der Endkontrolle des VEB Obertrikotagen „Ernst Lück“ in Wittstock. In gewisser Weise ist Filmemacher Volker Koepp der Anregung seiner Protagonistin gefolgt: 1974 fuhr er erstmals mit seiner Kamera in die brandenburgische Provinz, um das Leben der Textilarbeiterinnen Edith, Elsbeth und Renate in drei Kurzfilmen zu dokumentieren. Doch dann kehrte er im Lauf der Jahre immer wieder nach Wittstock zurück, erzählte von beruflichem Aufstieg, von privaten Hoffnungen und Rückschlägen.

Zuletzt besuchte Koepp seine Heldinnen Ende 1996: Die Dokumentation „Wittstock, Wittstock“ rekapituliert noch einmal ihre Geschichte(n) und ergänzt sie um die Erfahrungen in der Zeit nach der Wende. Und da heißt es dann Bonjour Tristesse: Hatten sich die Frauen kurz vor der Wiedervereinigung beruflich und privat gerade in einem Leben eingerichtet, das keine Veränderung mehr bereitzuhalten schien, so berichtet der Film nun von Arbeitslosigkeit, Umzug, Umschulung. Stets nimmt sich Koepp in seinen Filmen viel Zeit für die porträtierten Menschen (und die Landschaften, in den sie leben) - in „Wittstock, Wittstock“ spürt man noch zusätzlich die Nähe und Freundschaft, die sich zwischen dem Regisseur und den drei Frauen mit der Zeit entwickelt hat. Dabei driftet die Dokumentation niemals in Larmoyanz oder Betroffenheitsduselei ab - da sind schon Edith, Elsbeth und Renate vor, die auch den Herausforderungen einer neuen Zeit mit Fatalismus, Humor und überlebenswillen trotzen. Das Filmkunst-haus Babylon zeigt bis Mitte des Monats eine Volker-Koepp-Retrospektive; am 8. August wird der Regisseur nach der Vorstellung von „Wittstock, Wittstock“ zum Gespräch erwartet.

“Wittstock, Wittstock“ 7.8.-8.8.; „Leben in Wittstock“ 4.8.-5.8. im Filmkunsthaus Babylon 2

Nicht ganz so ruhig geht es im Central-Kino zu, wo man dem Erfinder des Splatterfilms eine kleine Hommage gewidmet hat: Herschell Gordon Lewis‘ berühmtestes Low-Budget-Exploitation-Werk „Blood Feast“ (1963) erzählt von einem wahnsinnigen ägyptischen Feinkosthändler, der eine antike Göttin zum Leben erwecken möchte und dazu dringend die Körperteile hübscher Frauen (unter ihnen das Playboy-Model Connie Mason) benötigt. Auf dem brillanten, von Lewis selbst geschriebenen Soundtrack mit einer unbeschreiblichen Orgel- und Kesselpaukenmusik tragen die einzelnen Stücke so schöne Namen wie „Eye Gouged Out“, „Legs Cut Off“ oder „Brains Knokked Out“. Und da wird keineswegs zuviel versprochen.

„Blood Feast“ (OF) 2.8.-5.8. im Central 2

Im Eiszeit-Kino dreht sich derweil alles um die Revolution: Elia Kazans „Viva Zapata!“ mit dem Dauerrebellen Marlon Brando in der Rolle des legendären mexikanischen Freiheitshelden zeigt uns, wie sie à la Hollywood funktioniert. Obwohl sich Kazan in den Bildkompositionen von zeitgenössischen Fotografien der Revolutionszeit inspirieren ließ, bietet der Film allenfalls interessanten Sozialkitsch: Liebesgeschichten und familiäre Eifersüchteleien vermischt mit rasanten Actionszenen. In Louis Malles „Viva Maria!“ dient die Revolution hingegen als Folie für eine amüsante Farce: Zwar hat die erste Maria (Brigitte Bardot) als Tochter eines Anarchisten bereits einige Erfahrung im Bombenlegen, doch erst als sie auf die zweite Maria (Jeanne Moreau) trifft, ist ein unschlagbares Duo geboren, das die mexikanische Revolution zum siegreichen Ende führen kann - und nebenbei auch noch den Striptease erfindet. Ein ironisches Spiel mit Genres im Geisete der Nouvelle Vague. “Viva Zapata!“ 7.8.-8.8.; „Viva Maria!“ 2.8.-6.8. im Eiszeit 1

Lars Penning