„Ein liberaler Geist kann Berge versetzen“

Günter Rexrodt, der Spitzenkandidat der Berliner FDP, mag eigentlich nur den Spitzenkandidaten der PDS. Ein Till Eulenspiegel sei Gregor Gysi, witzig, intelligent und beweglich. Die Berliner Grünen findet er unangenehm biestig und in der eigenen Partei hat er die Nationalliberalen domestiziert

„Wir können sofort und aus dem Stand jeden Posten qualifiziert besetzen“

von ROBIN ALEXANDER

taz: Herr Rexrodt, ist Ihre Partei schon volljährig?

Günter Rexrodt: Unsere Partei ist in einem reifen Alter.

Sie scheint aber geradezu versessen auf die Zahl 18.

18 Prozent in Berlin wird das Gesellenstück der FDP. Das Meisterwerk kommt später.

Beim letzten Mal war die Berliner FDP eher an 1,8 Prozent.

Das ist so lange her, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann. Ich schaue lieber in die Zukunft.

Im Ernst: Warum sollen 2001 mehr Berliner für die FDP stimmen als 1999?

Erstens: Die FDP wird heute als eine Partei wahrgenommen, die ein klares Programm hat. Zweitens: Die Parteienkonstellation ist in Berlin jetzt eine andere. Viele verschiedene Wähler werden FDP wählen. Bürgerliche Wähler, weil sie vom Filz der CDU entsetzt sind. Sozialdemokratische Wähler werden uns wählen, weil sie der SPD ihre Liaison mit der PDS übel nehmen. Und Bürgerrechtler, die keine PDS-Regierungsbeteiligung wollen, werden auch für uns stimmen.

Was ist so schlimm an der PDS, dass man, um ihre Regierungsbeteiligung zu verhindern, sogar FDP wählen soll?

Die PDS ist nicht schlimm, aber sie darf auf absehbare Zeit überhaupt keine Rolle spielen.

Auf absehbare Zeit?

Die PDS kann ja nicht über Jahrzehnte in Sippenhaft genommen werden. Aber sie muss erst einmal ein vernünftiges Verhältnis zu ihrer Vergangenheit entwickeln. Und sie muss allen sozialistischen Modellen abschwören und sich zu Pluralismus und Eigentum bekennen.

Sehen Sie keine Fortschritte in dieser Richtung?

Ja, wenn als Fortschritt gilt, dass man von hundert notwendigen Schritten einen halben getan hat. Außerdem: Wenn man eine Philosophie vertritt, die je nach politischer Großwetterlage so oder so interpretiert wird, dann kann man in einem demokratischen Gemeinwesen schwer Verantwortung übernehmen.

Auch die CDU schlägt im Wahlkampf auf die PDS.

Die CDU macht den größten Fehler im Umgang mit den Wählern und Sympathisanten der PDS. Es wird diesen Menschen nicht gerecht, pauschal und undifferenziert auf sie draufzuhauen.

Sie scheinen differenzieren zu können: Die Partei PDS mögen Sie nicht, aber mit ihren führenden Repräsentanten verstehen Sie sich gut.

Man muss in der Tat differenzieren. Gregor Gysi steht für die Partei, mit der ich nichts am Hut habe. Die Person Gysi ist ein witziger, intelligenter und beweglicher Mann. Ich vergleiche Gysi mit Till Eulenspiegel: ein Mann, der in einer Position gleich immer auch die Gegenposition einnimmt. Der fragt und den Spiegel vorhält. Einer, der immer auch ein Stück Komödiant ist. Ein sympathischer Charakter.

Das Spitzenpersonal der Grünen ist Ihnen nicht so sympathisch?

Was mich an den Grünen generell stört, ist diese Unfähigkeit zu lachen, unbeschwert zu sein und Toleranz zu üben. Bei den Berliner Grünen ist das noch stärker ausgeprägt, da kommt bei vielen noch eine ganz unangenehme Biestigkeit dazu. Mit solchen Leuten persönlich umzugehen ist enorm schwierig.

SPD und CDU setzen im Wahlkampf auf neue Gesichter. Sie kennen die Berliner schon als Exsenator, Exbundeswirtschaftsminister und Exlandesvorsitzenden. Gibt es denn in der FDP keinen Nachwuchs?

In der FDP gibt es jede Menge Nachwuchs und die sind auch alle in meiner Mannschaft: Gabi Heise, Markus Löning, Hans-Joachim Josefski, Mehmet Daimagüler und Martin Matz. Wir sind also eine Mischung aus erfahrenen und jungen, unverbrauchten Kräften.

Aber der Spitzenkandidat gehört zum alten Berlin.

Aber nein! Ich bin doch kein Stück des alten Berlins! Ich war hier in den Achtzigerjahren Senator, aber danach war ich draußen in der großen, weiten Welt: Ich war Banker in New York, ich arbeitete in der Treuhand, ich war sechs Jahre Bundesminister in Bonn. Ich habe meine Wurzeln in Berlin, aber ich bin ein hier nicht verfilztes Gewächs.

Wer sich in den vergangenen Jahren für die FDP interessierte, meinte es nicht immer gut. Kann der Wähler überhaupt sicher sein, wen er ins Abgeordnetenhaus schickt, wenn er FDP ankreuzt?

Unser Programm ist bekannt und unser Personal passt in das Spektrum der Liberalen. Wir sind keine zerrissene Partei mehr.

1998 wollten protestierende Studenten die Berliner FDP „kapern“. Nationalkonservative Mitglieder versuchten, die FDP in ihrem Sinne auszurichten.

Von den Studenten sind nicht einmal 200 übrig geblieben. Leider zu wenige! Die sind voll integriert. Und die Nationalliberalen habe ich domestiziert.

Auch ein Haustier kann seine Krallen ausfahren.

„Gysi ist immer auch ein Stück Komödiant. Ein sympathischer Charakter“

Es gibt immer mal einen verrückten Hund oder eine Katze, die durchdreht. Oder auch nur einen Wellensittich. Deshalb kommt aber noch lange nicht der ganze Haushalt in Unordnung.

Sie sind Landesvorsitzender und der einzige prominente FDPler in dieser Stadt. Der Landesverband wird aus ihrem Bundestagsbüro gelenkt. Ist der Kandidat Rexrodt schon die ganze Berliner FDP?

Nein, wir sind gar nicht so klein. Wir haben in Berlin immerhin 3.000 Mitglieder, davon ungefähr 600 bis 700 Aktive.

Eigentlich müsste der rot-grüne Übergangssenat doch ganz nach ihrem Geschmack sein. Der Regierende Bürgermeister hat das Motto „Sparen. Sparen. Sparen“ ausgegeben.

Das richtige Motto wird ja mittlerweile von vielen ausgegeben. Es kommt aber auf die Taten an. Herr Wowereit und seine SPD sind Bestandteil des Berliner Filzes, sie haben seit 46 Jahren mitregiert. Ich nehme ihnen schon ab, dass sie zum Sparen keine Alternative mehr sehen. Aber die SPD ist doch eine Partei des öffentlichen Dienstes. Mit ihr können Sie nicht die Sparziele im öffentlichen Bereich erreichen, die wir dringend brauchen.

Wowereit schließt doch Kündigungen im öffentlichen Dienst nicht aus.

Durchsetzen kann er sie aber nicht. Die SPD ist eben auch eine Gewerkschaftspartei.

BVG und S-Bahn will Wowereit fusionieren.

Das ist ganz falsch: Wir brauchen Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern. Synergieeffekte kann man auch im Wettbewerb nutzen. Zumindest Teile der BVG müssen privatisiert werden. Auch eine Privatisierung der S-Bahn müssen wir prüfen.

Zu ihrem Programm – das zufällig aus 18 Punkten besteht: In fünf Jahren wollen Sie die Neuverschuldung auf null bringen. Das ist doch sehr unrealistisch!

Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Natürlich muss gespart werden. Und es muss privatisiert werden. Aber wirklich saniert werden kann Berlin nur von der Einnahmeseite, also durch Stärkung der Steuerkraft. Wir brauchen die Ansiedlung und Entwicklung vieler, vieler Firmen.

Und das schaffen Sie alles in fünf Jahren?

Mit liberalem Geist kann man Berge versetzen.

Auch die Freie Universität möchten Sie privatisieren. Wird die dann DaimlerChrysler-Uni, Berliner-Bankgesellschaft-Uni oder Hertha-BSC-Uni heißen?

Der Name wäre mir egal, wenn es eine Universität wäre, die die besten Forscher und die besten Studenten in diese Stadt ziehen würde. Und das geht nur über Wettbewerb. Wer Leistung bringt soll gut bezahlt, hoch bezahlt, höchst bezahlt werden! Wir müssen auch über ein System von Studiengebühren und Stipendien reden.

Die FDP möchte die Professoren ermuntern, Unternehmen zu gründen. Damit sie noch weniger Zeit für Vorlesungen, Seminare und Studentenbetreuung als heute haben?

Ein guter Unternehmer hat auch die Zeit Lehrer zu sein. Das sind Leute, die haben einen Sechzehnstundentag und sind darüber glücklich, zufrieden und können lachen.

Auch Lehrer an Schulen möchten Sie „entsprechend ihrem Engagement“ unterschiedlich besolden.

Es muss in Zukunft Menschen geben, die Leistungen von Lehrern beurteilen. Da müssen Rektoren, andere Lehrer, aber auch Schüler für die Evaluierung einbezogen werden.

Sie fordern im Wahlprogramm: „Weniger Knöllchen und mehr Verbrechensbekämpfung“. Haben Sie den Populismus entdeckt?

„Ich habe meine Wurzeln in Berlin, aber bin ein hier nicht verfilztes Gewächs“

Nein. Als staatstragender Mensch sehe ich ja im Prinzip ein, dass ein Staat, der Verkehrsregeln erlässt, auch auf ihre Einhaltung bestehen muss. Aber es gibt ein Angemessenheitsprinzip. In Berlin sind Unmengen von Leuten unterwegs, die Knöllchen austeilen und Knöllchen bearbeiten. Andererseits haben wir enorme Mängel in der Bekämpfung organisierter Kriminalität. Da besteht also ein Zusammenhang durch die falsche Verteilung von personellen und finanziellen Ressourcen.

Und mit wem wollen Sie solche Vorstellungen umsetzen?

Mit der Partei, mit der wir am meisten liberale Gedanken in praktische Politik umsetzten können.

Realistisch reicht es für die FDP doch – wenn überhaupt – nur mit gleich zwei Partnern: mit der SPD und mit den Grünen.

Das glaube ich nicht. Wir werden sehr stark werden.

Müssen Sie dann Finanzsenator, Wirtschaftssenator und Schulsenator in Personalunion werden? Die Berliner FDP hat doch niemanden sonst, der ausreichend politische Erfahrung für ein Regierungsamt mitbringt!

Die FDP hat in der Geschichte der Bundesrepublik bewiesen, dass sie immer in der Lage war außerordentliche Leute hervorzubringen.

Von der Marginalisierung gleich auf die Regierungsbank. Fehlt da nicht eine wichtige Lernphase in der parlamentarischen Opposition?

Es ist ja nicht so, dass wir politische Newcomer wären. Unsere Leute sind in dieser Stadt über Jahrzehnte in verantwortlicher Position tätig gewesen. Und wir können Potenziale aus anderen Ländern und der Bundesebene heranziehen. Wir können aus dem Stand jeden Posten qualifiziert besetzen.

Um es im Wirtschaftsjargon zu sagen, den ihre Partei so liebt: Bei der letzten Wahl wurde das Unternehmen Berliner FDP auf 2,2 Prozent taxiert. Die aktuellen Umfragewerte von bis zu 9 Prozent sind ein übertriebener Hype, der nur aus der desolaten Performance der Union resultiert. Wie viel Substanz hat die Aktie FDP tatsächlich?

Die FDP wird auf Dauer eine ganz wichtige Rolle in dieser liberalen Stadt spielen. Dass wir für sechs oder sieben Jahre in dieser Stadt nicht dabei waren, dass war nicht der Regelfall, sondern eine Ausnahme. Jetzt kehren wir zur Normalität zurück.