im guru-gulag
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von MICHAEL RUDOLF

„Du bist mir ja eine Marke!“ oder „Marke setzen“ – damit sollte sich für freundliche Zeitgenossen der Umgang mit dem Begriff Marke erschöpfen. Keinesfalls aber sollten sie das Buch „Die Marke ICH®. So entwickeln Sie Ihre persönliche Erfolgsstrategie“ (Ueberreuter) von Conrad Seidl lesen, der sonst bei der Wiener Seniorenzeitung Der Standard werkelt. „Die Marke ICH®“ ist die geriatrische Antwort auf Naomi Klein und Frederic Beigbeider mit absolut sensationellen Einsichten wie: „Sie werden sehen, daß beinahe jeder Mensch für etwas steht.“ Oder: „Wer jetzt in Marken denkt, ist bei der ersten kulturellen Welle dabei.“ Die sieht dann ungefähr so aus: „Eine Buchhandlung ohne die Marken Konsalik und Simmel ist wahrscheinlich eine theologische oder technische Fachbuchhandlung, in die unsereins nur irrtümlich gestolpert ist.“ Kein Wunder, denn „Marken schaffen eine Wirklichkeit“ – aus der wir schnellstens flüchten möchten.

In Seidls Gulag erleben wir nämlich, was „anderen noch bevorsteht: das neue Wagnis Arbeit“. Wir erleben, was den Menschen in Massenunterkünften oft so unerträglich macht: seine Mehrzahl. Und wir erleben diejenigen, die, wenn sie „ICH®“ sagen, schon gelogen haben: „Werbe-Gurus“, „Verkaufs-Gurus“, „Image-Gurus“, „Marken-Gurus“, „Management-Gurus“, „Computer-Gurus“, „Gourmet-Päpste“, „Börsenpäpste“, all diese geistfernen Vorruheständler, die glauben, es gehöre eine Maximalportion Dummheit dazu, erfolgreich zu sein. Wenn es die Dummheit ihrer Nachäffer ist. Conrad Seidl geht es nicht um richtiges Leben, es geht ihm um dessen Vortäuschung im Guru-Gulag. „Wer eine Rolex trägt, einen Porsche fährt und Roederer-Champagner trinkt, wird eben von anderen als etwas Besonderes erlebt.“ Für Freiwillige hat Conrad Seidl tolle Tipps: „Das kann durchaus mit einem Leserbrief an eine große Tageszeitung beginnen.“ Oder „kann nicht auf dem Handy ein individuelles Rufsignal eingestellt werden“? Und die Lagerkluft, Conrad? „Schuhe sind ein heißes Thema.“ Stimmt. Nächste Stufe der Vergreisung: „Halte Vorträge, schreibe Bücher, besuche Bälle, betreibe kommunikative Sportarten wie Golf.“ Vor allem: „seien Sie radikal“ im „personal branding“. „Eine Glatze bei Männern signalisiert gemeinhin sexuelle Potenz.“ Also hat sich Conrad Seidl Glatze scheren lassen: Seht her, ICH® bin ein NICHTS®, dafür aber der schönste Skinhead vom Standard. Schließlich kommt es ihm nur darauf an, wie er seine universelle Demenz als Marke verkauft. „Es lohnt, auf diese Frage eine ausführliche Denkarbeit zu investieren.“ Wie man auf eine Frage investiert, darin investieren wir besser keinen Gedanken. ICH® will nur Scheiße denken können, „sagt“ Conrad Seidl, und damit ist er unter seinesgleichen nicht allein. Denn dabei sein ist alles für die Marke ICH®.

Das letzte Mal, als auch in Österreich alle dabei sein wollten, ging es gen Stalingrad, und das ging gründlich schief. Nachdem nun der „Haider-Duzfreund“ (Hilmar Klute) Conrad Seidl in jeder Menge Bibliotheken von Seniorenstiften seine Marke gesetzt hat, wird es Zeit, dass er selbst eingeliefert wird.