Das Private wird parteipolitisch

„Für uns ist es eine Hochzeit“, sagt Gudrun Pannier, „egal wie das offiziell heißt!“ Gestern war sie mit ihrer Freundin auf dem Standesamt

aus Berlin HOLGER WICHT

Das erste Mal haben sie schon vor Jahren die Ringe getauscht, noch im Kaufhaus. In der Traukapelle des Berliner Doms wiederholten die beiden Frauen die Zeremonie einige Monate später, auf dem Altar entzündeten sie eine Kerze, ein paar ältere Damen wurden zufällig zu Trauzeuginnen. Und nun also wirklich, ganz offiziell.

Rathaus Schöneberg, kurz vor 9 Uhr am 1. August 2001. Gudrun Pannier und Angelika Baldow, beide 36, sind das erste Berliner Paar, das die eingetragene Partnerschaft für Schwule und Lesben eingeht. Angelikas Eltern sind gekommen, Gudruns Mutter und Neffen, der Vater konnte leider nicht. Eine Freundin chauffiert das Brautpaar in ihrem Taxi vor den Eingang des Standesamtes. Auf der Kühlerhaube ein Blumengesteck, an der Heckklappe die Fahne der Bündnisgrünen, bei denen beide Mitglied sind. Das Private ist heute parteipolitisch, mit dem Eheleben beginnt der Berliner Wahlkampf.

Bedrängt von Kameras klettert Angelika Baldow, die an Multipler Sklerose leidet, aus dem Wagen in ihren Rollstuhl. Mühsam schiebt sich das Paar gegen den Journalistenpulk in Richtung Portal. Drinnen im Gedränge schwitzen sie in ihren Fräcken, während eine Standesbeamtin ein Formular in eine elektrische Schreibmaschine spannt und die Namen der Trauzeugen vermerkt. Im Trauzimmer tauschen Gudrun und Angelika dann endlich die Ringe, noch einmal die alten, ganz pragmatisch inmitten all der Symbolik. Die neuen Eheringe, rotgolden und verziert mit dem Unendlichkeitszeichen, sind nicht rechtzeitig fertig geworden. Es kam ja dann doch alles so plötzlich, als das Bundesverfassungsgericht vor zwei Wochen endgültig entschied, dass am 1. August die ersten Homoehen geschlossen werden durften. So schnell gravieren die Juweliere nicht.

Im Goldenen Saal des Rathauses schneiden Angelika Pannier, geborene Baldow, und ihre Gattin Gudrun die Hochzeitstorte an. Nun sind sie also „verheiratet“. Oder so ähnlich. Verpartnert? Eingetragen? Registriert? „Für uns ist es eine Hochzeit“, sagt Gudrun Pannier, „egal wie das offiziell heißt.“ Rezzo Schlauch gibt Interviews, und die Fernsehleute am Buffet drängeln ein Tablett mit Sektgläsern zu Bruch. Fröhlicher Applaus.

Rechtlich sind sie nun eine „Ausgleichsgemeinschaft“. Das entspricht im Wesentlichen dem üblichen Modell der „Zugewinngemeinschaft“ bei heterosexuellen Paaren. Gudrun Pannier, studierte Theologin, ist zurzeit arbeitslos. Im Herbst wird sie voraussichtlich einen neuen Job antreten: In der Erwachsenenbildung will sie ihr Faible für Computer zum Beruf machen. Dann wird sie Unterhalt zahlen für ihre erwerbslose Gattin, die ihr Jurastudium wegen ihrer Erkrankung aufgeben musste. Angelika wird weniger Sozialleistungen erhalten, kann dafür aber beitragsfrei in Gudruns Kranken- und Pflegeversicherung einsteigen. Unterm Strich werde wohl weniger Geld in der Haushaltskasse landen, aber das spiele keine Rolle: „Wir heiraten nicht aus steuerlichen Gründen!“ Angelika klingt fast empört.

Das hätte auch wenig Sinn. Denn noch liegt das Ergänzungsgesetz mit dem steuer- und erbrechtlichen Regelungen im Bundesrat – blockiert von den unionsregierten Ländern. Und selbst wenn der zweite Teil der Homoehe die Länderkammer irgendwann passieren sollte, werden lesbische und schwule Paare nicht die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle Eheleute. Angelika und Gudrun macht das wütend. Sie seien gewiss nicht klagewütig, sagen sie, doch für die rechtliche Gleichstellung würden sie zur Not bis zum Europäischen Gerichtshof marschieren.

„Das ist eine dauerhafte Sache“

Am Sonntag vor ihrem großen Auftritt haben sich Gudrun und Angelika einen freien Tag gegönnt, ganz für sich, in ihrer Wilmersdorfer Wohnung. Ein Glücksfall, diese Wohnung, eine idyllische Oase, mitten in der Stadt: Der Weg zum Hochzeitspaar führt über eine kleine kopfsteingepflasterte Allee in einen Hof mit Springbrunnen. Durch die Fenster der Erdgeschosswohnung leuchtet das satte Grün von Laubbäumen. Draußen schreit ein Eichelhäher, drinnen schleicht die Katze Bella übers naturfarbene Parkett, vorbei an der üppigen Bücherwand. Schon kurz nachdem sich die beiden Frauen vor fünfeinhalb Jahren per Kontaktanzeige kennen gelernt haben, sind sie hier eingezogen. „Uns wurde sehr schnell klar, dass das eine dauerhafte Sache ist“, sagt Angelika. „Jetzt wird aus einer Wohngemeinschaft mit Liebesbeziehung auch eine echte Rechtsbeziehung“, erklärt Gudrun. Wie sie das sagt, klingt es fast romantisch: Gudrun Pannier und Angelika Baldow sind am Ziel.

Fast am Ziel. Noch ist die Gleichstellung nicht erreicht. Kein Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare. „Wir lassen uns vom Gesetzgeber nicht absprechen, dass wir ein Kind großziehen könnten“, sagt Gudrun mit Nachdruck.

Und dann auch noch dieser Dannecker! Auf dem Couchtisch liegt der Computerausdruck eines taz-Interviews mit dem Frankfurter Sexualforscher. Der alte Vordenker der Schwulenbewegung hält wenig von Homohochzeiten. Das Bleiberecht für ausländische Partner, nun gut. Darüber hinaus sieht Dannecker die eingetragene Parnerschaft als einen Kniefall vor der heterosexuellen Normalität: „Hinter der Idee der Homoehe steht doch nur der fatale, weil trügerische Wunsch nach Anerkennung.“ – „Dieses Interview ist ein Schlag ins Gesicht!“, schimpft Angelika. „Ich sehe mich in der Mitte der Gesellschaft – und ich will die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen auch. Das ist eine Frage des Menschenrechts, dass alle vor dem Gesetz gleich sind.“

Gleichheit – das klingt überzeugend. Doch diese Mitte der Gesellschaft wollen viele Gegner der Homoehe einfach nicht goutieren, weil es mit der Gleichheit eben so eine Sache ist: Die gemeinte Gleichheit ist schließlich nur eine von Paaren mit Paaren, und die geforderten Rechte sind die der Ehe, die vielen als überkommenes Institut gilt. Müsste es nicht darum gehen, ganz verschiedene Formen des hetero- und homosexuellen Zusammenlebens rechtlich abzusichern, statt Paarbildung mit Steuergeschenken zu belohnen? „Selbst wenn die Ehe für Lesben und Schwule geöffnet würde, wäre das keine Gleichberechtigung“, sagt etwa Christina Schenk, die parteilos für die PDS im Bundestag sitzt, „dann gäbe immer noch Unterschiede zwischen denen, die ein solches Rechtsinstitut eingehen, und jenen, die es aus guten Gründen nicht wollen oder können.“ Alles richtig und alles egal, sagen die Befürworter der Homoehe, an erster Stelle steht die rechtliche Gleichheit.

„Wenn ein Recht da ist, will ich einen uneingeschränkten Zugang dazu“, fordert Angelika abermals. Alles andere sei „Schwachsinn“. Und so geht es dem Paar wie den meisten Grünen: Sie halten zum Beispiel das Ehegattensplitting für ungerecht, wollen es aber für Homopaare erst mal durchsetzen. Zugleich sind die Gegner ein wenig ratlos: Kaum einer fordert, dass Schwule und Lesben rechtlich schlechter gestellt sein sollen als Heteros. Und wer wünscht schon ein Gesetz zum Teufel, wenn es verhindert, dass Liebesbeziehungen durch Abschiebung beendet werden?

„Budenzauber um die Ehe“

„Ich fürchte, dass wir bis ans Ende zumindest meines Lebens Dinge fordern werden, die wir eigentlich abschaffen wollen“, sagt Dieter Telge, parteiloser Mandatsträger der Alternativen Liste während des letzten rot-grünen Intermezzos in Berlin. Das war vor mehr als zehn Jahren. Telge spazierte im Fummel ins Abgeordnetenhaus, wurde berühmt für sein neckisches Handtäschchen und die homopolitischen Konzepte darin. Im Kampf gegen Aids und Homophobie ließ er sich auch mal öffentlich kreuzigen. Heute ist der Provokateur von damals genervt vom schwullesbischen „Budenzauber um Ehe und Familie“, von „kollektiven Feierlichkeiten, in die man hineingezerrt wird“.

„Eine Suppenschüssel!“, ruft am Vorabend des 1. August Claudia Roth in ein gutes Dutzend Kameras und schmettert das gute Stück auf den Boden vor dem „Tränenpalast“ an der Friedrichstraße. „Wir poltern anders!“, heißt der Vorabend der ersten Hochzeiten, aber das meinen die Grünen wohl gar nicht so. Viele Tassen, Teller, Tassen später sagt die Parteivorsitzende drinnen auf der Bühne, heute sei der ehemalige Grenzübergang ein „Palast der Freudentränen“, denn mit der Homoehe breche eine Zeit an, die Schluss mache mit Heuchelei und Doppelmoral. Großer Beifall. Gudrun und Angelika tragen Smoking, zu Roy Blacks „Ganz in Weiß“ betreten sie mit drei anderen Paaren die Bühne, um sich interviewen zu lassen von der lesbischen Bürgermeisterkandidatin Sybill Klotz und von Volker Beck, dem „Vater des Gesetzes“, wie es heute heißt. „Tu felix Germania, nube!“, ruft Beck ins Publikum. Das glückliche Deutschland möge also heiraten. Ob das wohl alle verstanden haben?