Ökologisch wertvoll

Bäuerliches „Big Brother“: Eine Berliner Familie geht auf eine Zeitreise ins Jahr 1902 und zieht für zehn Wochen auf einen Hof im Schwarzwald. Der SWR ist mit seinen Kameras zufällig auch dabei

von JUTTA HEESS

Familie Boro aus Berlin zieht aufs Land. Und zwar in den Schwarzwald. Was unter normalen Bedingungen bereits einem Kulturschock gleicht, ist in ihrem Fall noch schlimmer: Seit zwei Tagen lebt sie in einem Bauernhaus, in dem es weder Web, WC und Waschmachine gibt. Und das „historisch detailgetreu auf das Jahr 1902 zurückgebaut wurde“. So kündigt zumindest der Südwestrundunk sein neues Format an, bei dem die Großstädter in den kommenden zwei Monaten in ihrem spartanischen Zuhause mit Kameras begleitet werden. An Weihnachten ziehen die Landeier aus Leidenschaft noch einmal für zwei Wochen in die Idylle – dann müssen sie von den im Sommer erwirtschafteten Naturalien leben. Und im Herbst 2002 werden die Erlebnisse der Familie schließlich in einer vierteiligen Fernseh-Soap in der ARD versendet.

„schwarzwaldhaus1902.de“ heißt die Öko-Reality-Sendung, die allerdings trotz URL-Titel im Gegensatz zu „Big Brother“ weder live noch verzögert im Internet übertragen wird. „Wir wollen das Leben der Familie dokumentieren und sie nicht überwachen“, erklärt Projektleiter Rolf Schlenker. Dazu wurden aus 650 Bewerberfamlien die Boros – Vater, Mutter und drei Kinder – ausgesucht und ins Glottertal der Jahrhundertwende katapultiert. Die Boros erwartet dort nicht nur ein Dasein ohne Komfort und Kabelfernsehen, sondern harter Bauernalltag. Gegessen wir, was durch mühsame Handarbeit auf den Tisch kommt: Das heißt, es muss gesammelt, geerntet und geschlachtet werden. Und was erwartet den Fernsehzuschauer? Mutter Boro, gehüllt in einen Leinenrock, beim Heidelbeerenpflücken vielleicht. Vater Boro, wie er einer Sau den Hals rumdreht. Oder die 15-jährige Tochter Sera-Emine auf dem Wochenmarkt des Schwarzwalddorfes, wo sie selbstgemolkene Milch unters Volk bringt. Begleitet wird die Familie von Kameramann Jörg Jeshel („Black Box BRD“), der auch so manche Nacht in der rustikalen Residenz verbringen wird. Zum Beispiel, wenn die Kuh kalbt oder sich ein Gewitter zusammenbraut. Für solche akuten Fälle können auch zwei kleine DV-Kameras im Heuballen oder unterm Dachbalken installiert werden. Ist das dann nicht doch ein als Bauerntrick getarntes „Big Brother“? Schlenker verneint: „Wir orientieren uns eher an den ,Living History‘-Formaten, die in den USA und in Großbritannien sehr populär sind.“ Demnach wäre das Projekt „schwarzwaldhaus1902.de“ kein Voyeur-TV, sondern ein medial begleitetes Nachleben der guten, alten Zeit. Und wenn es dafür nicht den Grimme-Preis gibt, dann zumindest das Prädikat ökologisch wertvoll.