DIE US-ENERGIEPOLITIK IST DOMINIERT VON EIGENINTERESSEN
: Bewusst verantwortungslos

Auf den ersten Blick ist alles ganz einfach: George W. Bush, Sprössling einer Familie aus dem Ölgeschäft, macht als US-Präsident Politik für die Ölindustrie. Das hat er angekündigt; das ist nicht überraschend; das wird nicht einmal so kaschiert, dass Enthüllungen nötig wären. Bloß: Darf der das? Sind die USA wirklich gewillt, den von Bush formulierten Partikularinteressen zu folgen und nationale wie internationale Kritik zu ignorieren? Als wären dreißig Jahre Umweltbewegung nie gewesen?

Halt. Es lohnt sich, genau hinzuschauen, wer da eigentlich warum wie abgestimmt hat. Das Repräsentantenhaus besteht in seiner Mehrheit aus Politikern, die ihren Sitz als Sprungbrett zu Höherem verstehen: die also für Senatoren- oder Gouverneursämter kandidieren möchten. Sie sind daher darauf bedacht, in wahlkampfrelevanten Fragen ihrem „voting record“ – ihrem individuellen Abstimmungsverhalten – ein politisches Profil zu geben, das ihrer Klientel gefallen könnte. Dabei kalkulieren sie das Machtgefüge der beiden Kongresskammern ein: Das Abgeordnetenhaus ist die Instanz fürs Grobe, während der Senat den realpolitischen Kompromiss auszuhandeln hat. Dies gilt erst recht bei ungleichen Mehrheitsverhältnissen wie im Augenblick, wo im Abgeordnetenhaus die Republikaner dominieren und im Senat die Demokraten. Gerade weil die Repräsentanten wissen, dass radikale republikanische Gesetzentwürfe im Senat bestimmt kassiert werden, beflügelt dies ihre Radikalisierung. Die Parlamentarier verhalten sich bewusst verantwortungslos. Die Abstimmungsergebnisse sagen insofern viel darüber aus, wie US-amerikanische Politiker die US-amerikanischen Wähler einschätzen. Doch sind sie nicht mehr als ein Hinweis darauf, wie die US-Politik sich tatsächlich ausrichten wird.

Nur, selbst wenn der Senat die ganz große Katastrophe abwendet, bleibt das Problem, dass ausgerechnet die größte Industrienation von einem Hasardeur geführt wird, der nicht einmal rhetorisch zu verbergen sucht, dass er die Profitinteressen der größten Umweltfeinde in der Industrie umsetzen will. Dass sich an dieser unheiligen Allianz auch die US-Gewerkschaften beteiligen, die um Arbeitsplätze fürchten, wirft die Debatte um Jahre zurück.

Es wäre fatal, wenn sich die anderen Industriestaaten von Bush genötigt oder ermutigt fühlten, ebenfalls ihre Umweltstandards abzusenken. Dem deutschen Kanzler wäre dies zuzutrauen. Auch die europäischen Länder brauchen daher Druck von unten, damit sie nicht die rhetorische Empörung über den texanischen Cowboy nutzen, um einen globalen „Sachzwang“ zu konstruieren und sich ebenfalls von lästigen Auflagen zu verabschieden.

BERND PICKERT