Geschützter Kohl

Neue Runde im Fall Kohl gegen Birthler: Die Begründung des Urteils ist da, heute wird die Gauck-Behörde reagieren

BERLIN taz ■ Die Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler, wird heute zur schriftlichen Urteilsbegründung des Berliner Verwaltungsgerichtes im Rechtsstreit mit Helmut Kohl Stellung nehmen. Die ausführliche Begründung war der Behörde am Montag zugestellt worden. Sie deutet wichtige Teile des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) neu, da „das StUG zu einem Zeitpunkt verfasst worden ist, zu dem Art und Umfang der vorhandenen Informationen dem Gesetzgeber nicht im Einzelnen bekannt waren“.

Das Gericht wertet Kohl „zum ganz überwiegenden Teil als Betroffenen“ und relativiert damit seinen Status als „Person der Zeitgeschichte“. Die Akten dieser Personen hatte die Behörde bisher herausgegeben. Das Gericht billigt nun dem Persönlichkeitsschutz Kohls eindeutigen Vorrang gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu. Der Persönlichkeitsschutz ist demnach nicht allein auf die Privatsphäre beschränkt, wie Birthler interpretiert, sondern gilt auch für „Äußerungen und Handlungen, die er in einem abgeschirmten Bereich in der Annahme der Vertraulichkeit vorgenommen hat“.

Für die von der Birthler-Behörde vertretene Rechtsauffassung, die die Herausgabe solcher Informationen bisher ermöglichte, müsste nach Auffassung des Gericht „das StUG geändert werden“. Der umstrittene Paragraf 32 sei bei Personen der Zeitgeschichte nur noch anzuwenden, „wenn sie ihre Einwilligung erteilen oder die Unterlagen anonymisiert werden“.

Mit der Urteilsbegründung wird die elfjährige Praxis der Bundesbehörde für die Aktenherausgabe von Personen der Zeitgeschichte an Journalisten und Wissenschaftler für nicht gesetzmäßig erklärt. Birthler hatte nach der Urteilsverkündung am 4. Juli darauf hingewiesen, dass sich bei Bestand dieser Rechtsauffassung die Aufklärung über die Funktion und das Vorgehen der Stasi empfindlich eingeschränkt würde.

Da die Veröffentlichung der Urteilsbegründung keine neuen Motive des Gerichts erkennen lässt, ist zu erwarten, dass Birthler wie bereits angekündigt die nächste gerichtliche Instanz anrufen wird, um eine Revision des Urteils zu erreichen (AZ: VG 1 A 389.00). HEIKO HÄNSEL

Die Urteilsbegründung im Internet: www.berlin.de/vg