Furcht und Stillstand

„Wir suchen nach Waffen“, erklärt der israelische Soldat. „Wieso, habt ihr noch nicht genug?“, ist die Antwort
aus Jerusalem und Efrat SUSANNE KNAUL

Der kugelsichere Bus der Linie 167 füllt sich morgens um neun nur langsam. Als der Wagen Jerusalem verlässt, sitzen mehrere Rentner, Soldaten und eine Gruppe von Jeschiwa-Studenten hinter den Fenstern. Vor die Windschutzscheibe ist ein Drahtgitter gegen Steinwürfe montiert. Die Linie 167 führt durch das Palästinensergebiet, Endstation ist die jüdische Siedlung Efrat, zehn Kilometer südlich von Jerusalem. Anfang Juni sind zwei Frauen aus Efrat in ihren Autos erschossen worden. Sie waren auf dem Weg zur Beerdigung eines Nachbarn, der ebenfalls in seinem Wagen überfallen worden war.

Bei solchen Attentaten sitzen die Schützen in einem überholenden Fahrzeug, oder sie liegen am Straßenrand, warten auf einen Wagen mit dem gelben israelischen Kennzeichen, schießen und fliehen anschließend in das palästinensische Autonomiegebiet. Dorthin dürfen ihnen die israelischen Soldaten nicht folgen. „Ich fahre seit vier Wochen nur noch mit dem Bus“, sagt Dafna, die vom Nachtdienst im Krankenhaus nach Hause fährt. Die Dreißigjährige nimmt in Kauf, regelmäßig zu spät zur Arbeit zu kommen, denn die Busverbindung ist unzuverlässig – Hauptsache ist, sicher anzukommen. „Die letzten Morde haben die Leute erschreckt“, sagt Dafna. Allen sei klar, dass es weiter Anschläge und noch mehr Tote geben wird. „Wir fragen uns nur, wer wohl das nächste Opfer ist.“ Das israelische Kabinett beschloss vor kurzem, dass finanziell unterstützt werden soll, wer kugelsichere Westen oder Panzerglas für sein Fahrzeug kauft.

Kurz vor Bethlehem nimmt der Busfahrer eine scharfe Rechtskurve und biegt auf den so genannten Bypass ab, eine Umgehungsstraße, die zwischen dem arabischen Beit Djalla auf der rechten Seite und dem jüdischen Gilo zur Linken verläuft. Rechts ist sie mit zweieinhalb Meter hohen Betonblöcken begrenzt, bis sie einen Tunnel erreicht. In diesen Wochen fahren fast ausschließlich Wagen mit der gelben israelischen Nummer auf den Bypässen, deren Zufahrten von Militärs bewacht werden. Hinter dem Tunnel hängen dicht an dicht Israelflaggen. Die jüdischen Siedler demonstrieren Präsenz vor dem autonomen Dorf al-Khader, das bis fast an den Bypass grenzt.

Theoretisch dürfen die Bypässe auch von Palästinensern befahren werden, solange sie über eine Reisegenehmigung verfügen. Doch auch in friedlichen Zeiten sind die grünen und blauen Kennzeichen der palästinensischen Fahrzeuge hier selten. „Wir würden es lieber sehen, wenn die Araber gar nicht mehr auf den Bypässen fahren“, meint Dafna, „dann blieben uns wenigstens die Angriffe aus überholenden Fahrzeugen erspart.“

Unmittelbar vor Ausbruch der Al-Aksa-Intifada im September zog Dafna nach Efrat, eine Siedlung in Gusch Etzion. Für ihre Familie mit zwei Kindern „war Jerusalem zu teuer“. Um in der Siedlungsgruppe zwischen Jersualem und Hebron zu wohnen, muss man nicht ausgesprochen nationalreligiös eingestellt sein. Trotz der jüngsten Entwicklungen bedauert Dafna ihren Umzug nach Efrat nicht. Früher oder später werde wieder Ruhe einkehren. Bis dahin müsse man eben besonders aufpassen, sprich: „ein Minimum an Fahrten und nur ganz kurze Strecken mit dem eigenen Auto“.

Der Bus fährt an einem sich automatisch öffnenden Eisentor vorbei in die Siedlung. Geweißte Häuser mit roten Ziegeldächern, eine Pizzeria, eine Post, ein kleiner Supermarkt und ein sauberer Spielplatz. „Wohnungen zu verkaufen“, steht auf einem Schild. Gegenüber befinden sich noch mehrere Häuser im Rohbau. Ob die Arbeit dort eingestellt wurde, weil es der Mitchell-Report so verlangt? „Nein“, sagt Dafna, „hier wird nicht gearbeitet, weil die Palästinenser im Moment nicht herkommen dürfen.“ Das Arbeitsministerium habe aber schon Bauarbeiter aus Rumänien angekündigt.

Der Fahrer lenkt den Bus in eine Sackgasse, die vor einem hohen Stacheldrahtzaun endet. Er hat eine Viertelstunde Pause, bevor es zurück nach Jerusalem geht. Die Strecke nach Efrat sei noch verhältnismäßig sicher, meint er. Auf anderen Strecken fahre ein Soldat im Bus mit, und ab hier Richtung Süden sind Eskorten von Militärjeeps üblich. Angst während seiner Arbeit habe er noch nie gehabt, sagt er. Dennoch würde er „nicht im Traum daran denken, einmal privat herzukommen“.