Freude am Führen

In Deutschland gibt es etwa 150.000 blinde Menschen. Nur etwa zweitausend von ihnen haben einen Führhund. Dabei war der Blindenführhund eine deutsche Erfindung, die den vielen Kriegsblinden nach dem Ersten Weltkrieg helfen sollte. Später kamen die Hunde hierzulande aus der Mode, während sie etwa in England und der Schweiz weiter im Einsatz waren. In Deutschland behalfen sich Blinde nun eher mit dem Stock. Erst in den Achtzigerjahren begann man auch hier wieder mehr Führhunde auszubilden, oft in Einmann- oder Einefrauschulen. Alles in allem gibt es in Deutschland nicht mehr als dreißig Ausbildungsbetriebe, darunter eine Hand voll größere Schulen.

Als Blindenhunde eignen sich am besten Labradore, Schäferhunde und Königspudel. Mit acht Wochen werden die ausgewählten Welpen in Patenfamilien gebracht, die sie unter Anleitung des späteren Führhundetrainers großziehen. In diesen ersten Monaten geht es darum, dass der junge Hund möglichst vielfältige Erfahrungen macht: Umgang mit Kindern, Baustellenlärm, Menschengedränge, öffentliche Verkehrsmittel. Bevor sie zur eigentlichen Ausbildung angenommen werden, werden die Hunde intensiv geprüft. Sie dürfen nicht zu aufgedreht und nicht verkrampft sein, nicht zu schreckhaft, aber auch nicht phlegmatisch. Sie müssen menschenfreundlich sein, neugierig und kerngesund.

Die Ausbildung beginnt im Alter von fünfzehn Monaten und dauert etwa acht Monate, insgesamt 250 bis 350 Stunden im Führgeschirr. Die Hunde lernen die „Hörzeichen“ wie „rechts“, „links“, „geradeaus“, „halt“, „weiter“, „nach Hause“ oder „zurück“. Sie lernen, Zebrastreifen und Treppen anzuzeigen, Türen und Lifte zu finden, Straßenbahn und Bus zu fahren. Das Wichtigste ist, dass die Hunde Freude am Führen entwickeln. Mit Drill, das zeigt die Erfahrung, erreicht man wenig. Die Hunde sollen ja nicht blind gehorchen, sondern selbstständig führen und bei Hindernissen kreativ Lösungen finden.

In der Regel steht schon während der Ausbildung fest, zu wem der Hund anschließend gehen wird. Die Interessenten melden sich bei der Hundeschule und müssen dann warten, bis ein passender Hund ausgebildet ist. Denn nicht jeder Führhund harmoniert mit jedem Blinden. Junge Menschen brauchen eher lebhafte, unternehmungslustige Tiere, ältere Menschen eher vorsichtige.

Am Ende der Ausbildung steht ein etwa dreiwöchiges gemeinsames Intensivtraining des Gespanns. Stellt sich nun heraus, dass Herrchen oder Frauchen und Hund trotz aller Vorbereitungen nicht miteinander klarkommen, muss der Interessent auf einen anderen Hund warten.

ULRIKE SCHNELLBACH