Mord am Musikzwerg

■ Eine taz-Praktikantin entdeckt die plattdeutsche Freilufttheater-Kultur

Gerade ich. Ich, die ich kein Wort Plattdeutsch sprechen kann und verstehen ... naja. Aber als einzig verfügbare waschechte Bremerin in der taz-Redaktion mache ich mich dann doch auf den Weg nach Holtebüttel ins Freilufttheater.

„Der Goornzwerg-Mord“ heißt das Stück, das ich mir in den nächsten Stunden zu Gemüte führen soll, und entsprechend ist die kleine Bühne auf der Waldlichtung dekoriert. Nicht weniger als 39 der kleinen Vorgarten-Heiligtümer zähle ich, darunter prächtige Exemplare mit dramatisch rollenden Augen, andere neckisch unter Plastikpilzen versteckt.

Allmählich füllen sich die Holzbänke. Ausgestattet wie die backpacker kommen Familien mit dicken Wolldecken auf dem Rücken an, einige haben sogar praktische Sitzkissen dabei. Es gibt Bockwürstchen mit Senf und Bier aus der Flasche. Freiluft-unerfahren sitze ich auf meiner Regenjacke und schiebe mir ein Pfefferminzbonbon in den Mund.

Ein bisschen skeptisch bin ich ja schon, und das nicht nur wegen der „Fremdsprache“ Plattdeutsch. Wie soll ich denn über ein Stück schreiben, das ich nicht verstehe? Sicherheitshalber lese ich mir die knappe Inhaltsangabe auf dem Handzettel gleich dreimal durch.

Die ersten fünf Minuten sind tatsächlich frustrierend, ich verstehe kein Wort. Das kann ja heiter werden! Aber nach einer kurzen Eingewöhnungszeit ist alles halb so wild. Chrischan Veddern, das ist nicht schwer zu begreifen, ist ein Vorgarten-Macho sondergleichen. So liebevoll wie er seine Gartenzwerg-Kollektion abstaubt, so kratzbürstig-grummelig behandelt er seine arme Frau Gerlinde.

Ungeniert stellt er seinen beachtlichen Bierbauch zur Schau und macht sich über die reisefreudigen Nachbarn lustig, die soeben aus Indien zurückgekehrt sind.

Bundesliga-Übetragung contra „indisches Gejaule“, Hosenträger contra Sari: Es kommt wie es kommen muss – zu einem handfesten Streit. Dem Publikum gefällt's. Begeistert wird jeder Auf- und Abgang beklatscht, alle Witze mit Gelächter beantwortet. Über die jeweilige Qualität ebendieser kann man wohl streiten – wenn man denn Lust dazu hätte. Das platt-erprobte Publikum – in Langwedel gibt es acht plattdeutsche Theatergruppen! – will sich lieber amüsieren, es ist schließlich Sommer und der norddeutsche Himmel über uns leuchtet gnädig blau-weiß gesprenkelt. Immer wohlgesonnener lächele auch ich über Zotiges und Originelles.

Die acht Laienschauspieler unter der Regie von Marita Coels agieren sehr überzeugend und mit großer Spielfreude – am schönsten ist es zweifelsohne, wenn sie sich aufregen. Chrischan brüllt und tobt und überschüttet die forsche Nachbarin Inge „Indira“ Sagebiel mit einem Schwall plattdeutscher Schimpfwörter – die ich leider leider nicht verstehe.

Grund für die verbalen Attacken ist, wie der Titel verrät, der nächtliche „Mord“ an Chrischans Lieblingsgartenzwerg, einem Prachtexemplar mit Marschmusik, kurz „Musikzwerg“ genannt. Nur Scherben sind von ihm übergeblieben, und die muss der jähzornige Papa Veddern ausgerechnet in Sagebiels Blumenbeet wiederfinden. Als Mörderin kommt für ihn natürlich nur Inge in Frage, und dass die klatschsüchtige Nachbarin Edelgard von Söötbach seiner Gerlinde auch noch eine Affäre mit Egbert Sagebiel unterstellt, trägt ebensowenig zu Chrischans Erheiterung bei wie die „anderen Umstände“ von Tochter Suse.

Und siehe da, auf einmal bekommt das Freilufttheater geradezu Slapstick-Qualitäten. Während die Sonne romantisch durch die Blätter funkelt, versucht Gerlinde verzweifelt, ihren hoffnungslos besoffenen Ehegatten des nachts durch die Haustür zu schieben. Um mich herum kreischen ältere Damen vor Vergnügen, und, kaum zu glauben, sogar ich fange an, herzhaft zu lachen. Immer öfter blitzt ein herrlich norddeutscher Humor auf, der auf Platt besonders trocken wirkt.

Und so steige ich nach drei Stunden und zwei Pausen schließlich wieder in den Zug gen Großstadt und bereue kein bisschen, gekommen zu sein. Freiluft in Reinkultur habe ich genossen und insgeheim verzeihe ich den sympathischen „Holtebütteler Plattsnackers“ das etwas angestrengte happy end: Friede, Freude, Gartenzwerg. be

Die „Holtebütteler Plattsnackers“ spielen den „Goornzwerg-Mord“ auch heute und morgen auf der Freiluftbühne Holtebüttel bei Langwedel (Beginn: 20 Uhr). Züge nach Langwedel fahren täglich zum Beispiel um 18:51 Uhr ab Bremen Hbf (auch zurück kommt man bequem). Vom Bahnhof Langwedel sind es dann noch 5 km bis zur Freilichtbühne, also Fahrrad mitnehmen!