„Wut und Hass“ – oder Verzweiflung?

■ Der Prozess gegen den Mann, der den Verdener Arbeitsamtsdirektor tötete, hat begonnen

Es war der Morgen des 6. Februar, als der arbeitslose Maschinenbauingenieur Werner B. den 63-jährigen Direktor des Verdener Arbeitsamts Klaus Herzberg vor dessen Haus durch 22 Stichen laut Anklageschrift „mit unbedingtem Tötungswillen“ ums Leben brachte (siehe taz von vorgestern) und sich der Polizei stellte.

Bisher hatte Werner B. geschwiegen, wenn es um die Gründe für seine Tat ging. Gestern, zu Beginn des Prozesses vor dem Verdener Landgericht, äußerte er sich erstmals – durch seinen Anwalt Michael Brennecke, der eine 26 Seiten lange Erklärung seines Mandanten verlas. Eine Stunde dauerte es, neun Jahre Leben in Worte zu fassen. 1982 wurde B. arbeitslos. Nach Jahren der Geschäftigkeit kam die „Angst vor der Zukunft“, die „Angst davor, noch nicht einmal den jetzt vorhandenen Status auf Dauer halten zu können.“ Dazwischen Versuche, Arbeit zu finden in Hamburg, Berlin, Hannover, Toulouse, Gelegenheitsjobs ohne lange Dauer, Fortbildungen und Umschulungen, immer wieder Besuche beim Arbeitsamt und so langsam „das Gefühl, in eine Maschinerie geraten zu sein, die mir zwar ein Vielzahl von Aktivitäten aufoktroyierte, wie Bewerbungen schreiben und Teilnahme an Fortbildungskursen, die jedoch ganz offensichtlich eines nicht leisten konnte, nämlich mir neue berufliche Perspektiven zu eröffnen.“ Die dritte Fortbildung schließlich bricht er ab. Zuviel Leerlauf, zu wenig Möglichkeit Erlerntes zu üben, er fühle sich „geparkt, verwaltet“, einfach nur aus der Statistik der Langzeitarbeitslosen entfernt. Das Amt sperrt ihm daraufhin die Unterstützung – B. muss Sozialhilfe beantragen und fürchtet „den totalen Absturz“.

Eine Beziehung, für die er von Hamburg nach Thedinghausen gezogen ist, ist da längst in die Brüche gegangen, sein neugeborenes Kind hat er erst in der Untersuchungshaft zum ersten Mal gesehen.

Der Amtsdirektor war für Werner B. offenbar die letzte Hoffnung, auch wenn dieser ihn zuvor schon bei einer zufälligen Begegnung hat abblitzen lassen. Herzbergs Adresse hatte B. aus dem Telefonbuch. Er war bereits vor dem Tag der Tat öfter bei dessen Haus. Am Morgen des 6. Februar dann, auf dem Weg zum Sozialamt, geht B. erneut bei Herzberg vorbei, passt ihn auf dem Weg zur Garage ab, bittet um Aufhebung der verhängten Sperre. Herzberg habe gelächelt und gesagt: „Das hätten Sie sich alles vorher überlegen müssen, Sie sind ja wohl völlig durchgedreht, hauen Sie ab.“ Er habe B. zurückgeschubst, da hatte Werner B. schon den Dreikantschaber in der Hand, das Tatwerkzeug. An den Rest erinnere er sich bis heute nicht.

Das Tatwerkzeug – 24,5 Zentimeter lang – habe er als Talisman stets bei sich getragen, so B. Er habe Herzberg nicht aus „Wut und Hass“ getötet oder, „um ein Signal zu setzen“, wie es ihm die Anklage vorwirft. Er habe ihn nicht töten wollen. Er bereue die Tat zutiefst.

Der Vorsitzende Richter Stephan Nott schaut den Angeklagten und seinen Verteidiger die ganze Zeit an. Als er später fragt, klingt es geradezu fürsorglich. So holt er nach und nach Details aus B.s Leben hervor – insgesamt fünf Jahre Internat, das Abi nicht geschafft, obwohl der Vater es so wünschte, Trennung der Eltern „wegen Stress, Überforderung“, als B. 13 war. Details, die Anhaltspunkte geben, was noch zu dem Mann gehört, der so still und doch so prägnant im Ausdruck vor Gericht steht.

Es kommt noch eine andere Seite des Werner B. auf den Tisch. Briefe und Mails an Bekannte aus der Erwerbslosenbewegung, zu der B. zeitweise engen Kontakt hatte, sowie ans Arbeitsamt. Hier spricht er von einem „großen Aggressionspotenzial“, von der „Sozialsoldateska“ und „sozialrassistischer Politik“, auch dass „ich es irgendwann einmal – die Zeit bestimme nicht ich – satt habe.“

Später verteilt ein französischer Freund vor dem Gericht ein Flugblatt, das „Solidarität mit Werner B.“ fordert und erklärt: „Kriminell ist hier die soziale Logik.“ Eine Zuschauerin, selbst arbeitslos trotz Umschulung, findet B.s Schilderung höchst zutreffend, aber die Tat „kann ich nicht nachvollziehen.“ Ein Urteil ist erst in der übernächsten Woche zu erwarten. Susanne Gieffers