berliner szenen
: Der Elfenabwurf

Zart fallen

Der junge Mann an der Gitarre heißt Vardi. Er hat lange Haare und trägt ein Holzfällerhemd. Versunken im Sound zirpt er Feedbacktöne wie ein isländischer Follower von Neil Young. Nach Freejazz klingt es jedenfalls nicht und auch nicht nach dem angekündigten Noise. Stattdessen nimmt einen das psychedelische Gefiepe sanft und leise mit in den Abend, zu dessen Höhepunkt Wolfgang Müller eine unsichtbare Elfe aus einer unsichtbaren Mongolfière abwerfen lassen wird.

Die Performance findet im Frisör Beige statt, weil dort die Berliner Dependance der Reykjaviker Walther von Goethe Foundation untergebracht ist. Der Kulturaustausch mit Island kommt wieder einmal zur richtigen Zeit: Vor zwei Wochen hatte Wolfgang Flatz einen Kuhkadaver in Prenzlauer Berg zum Platzen gebracht. Gegen das martialische Fleisch-Spektakel im Vorfeld der Love Parade nimmt sich Müllers Elfenwurf samt Musikprogramm sehr zärtlich aus. Mit dem Handy telefoniert er einem Medium hinterher, das den Standort des Freiluftballons bekannt gibt. Plötzlich rauscht es in einer Kastanie, und Müller zeigt aufgeregt auf einen kleinen Springbrunnen, in den die Elfe jeden Moment fallen muss. Tut sie aber nicht. Kurz vor der Landung weht ein Windhauch sie ein paar Meter weiter in einen Sandkasten. Da stehen dann einige dutzend Zuschauer im Zwielicht der Nacht und suchen den winzigen Körper. Drinnen jammt Müller inzwischen mit Vardi isländische Trinklieder über Haydns Melodie zur „Deutschland-Hymne“. Später wird ein Stück der Tödlichen Doris daraus: „Ich bin schuld, du bist schuld, das ist die Schuldstruktur“.

HARALD FRICKE