Mit Mut zur Qualitätslücke

Die Sonntagszeitung hat Hochkonjunktur. Nun haben sich auch die „Frankfurter Allgemeine“ und die „Neue Zürcher Zeitung“ zum Sonntagstrend bekannt. Gefeit vor Schwierigkeiten sind auch sie nicht

Die neuen Blätter richten sich an eine Leserschaft mit gut gefüllter Geldbörse

von KARIN WENGER

Sonntag ist Ruhetag. So steht es zumindest in der Bibel. Doch die Presse will auch sonntags nicht ruhen. Der Zeitungspapierberg, der unter der Woche anwächst, wird nun am Sonntag um zwei Printprodukte aufgestockt. Die FAZ am Sonntag begnügt sich nicht mehr mit dem Rhein-Main-Gebiet, in dem sie bisher erhältlich war – sie erreicht ab Ende September zusätzlich die deutschen Großstädte. Auch in der Schweiz hat man den neuen Trend erkannt: Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) leistet sich ab kommendem Frühjahr einen Sonntagstitel.

Mit diesen zwei neuen Produkten sollen die anspruchsvollen Leser am Sonntag auf ihre Kosten kommen, die mit Bild am Sonntag und Welt am Sonntag unzureichend bedient waren. Die neue Sonntags-FAZ soll Hintergrundberichte enthalten, mit Themenbereichen wie Gesellschaft, Wissenschaft, Reise und Kunst soll sie aber auch sonntagsfreundlicher sein. FAZ-Geschäftsführer Jochen Becker verspricht zudem eine neue, farbigere Aufmachung.

Auch die NZZ hat erkannt, dass Bleiwüsten sonntags abschreckend sind: „Die Zeitung wird mit lockeren journalistischen Formen leichter zu lesen sein“, sagt Felix Müller, der zukünftige Chefredaktor der NZZ am Sonntag, zur taz. Damit sollen rund 100.000 NZZ-Leser, die am Ruhetag zur Sonntagszeitung des Tagesanzeigers wechseln, behalten werden. Will die Sonntagszeitung nicht, dass ihnen die Leser reihenweise abspringen, bleibt ihnen die Orientierung nach oben nicht erspart, denn trotz der kleinsten Schweizer Sonntagsauflage von 150.00 Exemplaren strebt die NZZ am Sonntag vor allem eines an: Qualität. Das Boulevardblatt Sonntagsblick muss sich weniger vor Leserschwund fürchten: Seine Leser ziehen farbige Bilder und fette Überschriften tiefgründiger Recherche vor.

Allerdings werden die deutschen und Schweizer Wochenzeitungen die Konkurrenz zu spüren bekommen. Die nötige Muße für ausführliche Artikel der Zeit, Woche oder Weltwoche finden die Leser meist erst am Sonntag. Keine boulvardeske Kost, dafür Hintergrundberichte und die neusten Sportresultate bieten nun die neuen Sonntagszeitungen. Die Weltwoche versucht, sich mit einem neuen Chefredakteur aus der Bedrängnis zu retten.

Während die Konkurrenz ihre Konzepte überdenkt, sind auch die neuen Sonntagsredaktionen und ihre Stammredaktionen nicht vor Problemen gefeit. Die Gründung einer Sonntagszeitung ist ein Balanceakt: Einerseits soll sich das neue Produkt vom Stammblatt abgrenzen, sich andererseits aber doch nicht von der Ideologie entfernen. Wie leicht aus dieser Gratwanderung eine redaktionsinterne Fehde werden kann, demonstrierte das Zeit-„Leben“ in diesem Frühjahr. In der Schweiz spielte sich Ähnliches 1987 mit der Einführung der Sonntagszeitung des Tagesanzeigers ab: Verlagsboss Heinrich Hächler brach damals gezielt die Dominanz der Stammhausredaktion. Ein Vorgang, der zur Bekämpfung der beiden Redaktionen führte.

Die NZZ will es besser machen: Um politische Diskussionen zu vermeiden, ist Sonntags-Chefredakteur Felix Müller direkt NZZ-Chefredakteur Bütler unterstellt. Die Neuorientierung soll mit einer Mischung der Sonntagsredaktion aus abwandernden NZZ-Redakteuren und neu rekrutierten Redakteuren gewährleistet sein. Christian Mensch, Medienredakteur der Wochenzeitung Weltwoche, sieht mit dieser Abwanderung der NZZ-Redakteure aber ein ganz anderes Problem auf die Zeitung zukommen: „Die Zöglinge, die Bütler gehegt und gepflegt hat mit der Hoffnung, frisches Blut in die NZZ zu bringen, wandern nun zum Sonntagsblatt.“ Tobias Trevisan, NZZ-Verlagsleiter, bestreitet diese Vermutung aber vehement: „Wir lassen es nicht zu einer Ausblutung kommen.“ Ob Frischblut oder nicht: Im Hinblick auf das Marketing unterscheidet sich das neue Blatt klar von seinem Stammblatt. Während die NZZ ein redaktionsgetriebenes Produkt ist, wird die NZZ am Sonntag ein marketinggetriebenes Produkt. Auch da sieht Mensch Gefahren lauern: „Die Geschäftsleitung, bisher handlungsbeauftragtes Instrument, gewinnt an Bedeutung, die Journalisten verlieren an Einfluss.“ Müller bestreitet diese These – welcher Chefredakteur würde auch die Bedeutung seiner Journalisten verleugnen?

In der FAZ soll es gar nicht erst zu dieser Diskussion kommen: Alle fünf Herausgeber wollen sich die Verantwortung teilen. Nach einer Pressemitteilung werden aber die Parlamentsredaktionen getrennt voneinander arbeiten. Damit soll verhindert werden, dass die Sonntagszeitung wie eine siebte Ausgabe der FAZ erscheint.

FAZ und NZZ haben aber nicht nur ähnlich konservative Ideologien und halten die Qualitätsfahne hoch, sondern ziehen auch im verlegerischen Bereich am gleichen Strang: Die NZZ nutzt die Vertriebsorganisation der FAZ, die Zeitungen kooperieren im Stellen- und Anzeigemarkt. Im Inserentenmarkt wittern die Verleger ein lukratives Geschäft. Nach Erkenntnissen der Zeitungs Marketing Gesellschaft sind Sonntagsinserate besonders erfolgversprechend. Die Leser haben dann Zeit, über Anschaffungen und Stellenangebote nachzudenken. Rosige Aussichten für Inserenten und Verleger: Die neuen Blätter richten sich vor allem an eine Leserschaft mit gut gefüllter Geldbörse.

Wieso werfen beide Zeitungen ihre neuen Produkte gerade jetzt auf den Markt? „Diese Gemeinsamkeit ist rein zufällig“, betont Trevisan. Die Qualitätslücke am siebten Tag der Woche und die gute wirtschaftliche Lage beider Zeitungen sei vielmehr Grund für das neue Produkt. Und: „Der Sonntag ist der wichtigste Tag zur Meinungsbildung.“ Wie viele Leser in Zukunft Zeit finden werden, sich eine Meinung am Sonntag zu bilden, wird sich zeigen. Vielleicht gibt es auch nur eine Änderung: Der Papierberg wird um zwei Zeitungen höher.