frankie goes to edmonton
: Dopingfälle vor der WM schüren das Misstrauen

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Nun, da es endlich los geht mit den Worlds, wie die Weltmeisterschaften hier in Edmonton genannt werden, müssen noch ein paar ernste Worte über ein ernstes Thema verloren werden. Denn erschreckt hat es uns schon, dass ausgerechnet so knapp vor der WM mal wieder die Rede von Doping war und gleich von zwei positiven Fällen.

Zum einen wurde die russische 3.000-Meter-Läuferin und Hallenweltmeisterin Olga Jegorowa als erste Leichtathletin überhaupt mit dem Blutdopingmittel Erythropoietin (Epo) im Körper erwischt, zum anderen bei der deutschen Hochspringerin Amewu Mensah das anabole Steroid Oxandrolon festgestellt.

Wobei uns vor allem der Fall Mensah ratlos macht. Schließlich zählte die 24-Jährige bislang zu der Sorte der eher unverdächtigen Athleten, und das nicht nur, weil sie just bis zur Bekanntmachung ihrer positiven Probe mit ihrem Exfreund Nils Schumann, 800-Meter-Olympiasieger, bundesweit auf Plakaten Werbung machte für die „Aktion gegen Gewalt und Drogen“. Amewu Mensah wäre in Edmonton nicht dabei gewesen. Sie hat sich nicht qualifiziert. Dennoch wird sie uns begleiten, die ganze Weltmeisterschaft über.

Mit Argwohn werden wir den Sportlern wieder mal zuschauen, auch den Deutschen, von denen man bisher glaubte, sie seien sauberer als die anderen. Und schienen die Leichtathleten zuletzt nicht insgesamt weit weniger verdächtig als Schwimmer und Radfahrer?

Wenn’s überhaupt so war, so hat der Schein getrogen, was mit ein paar Beispielen belegt werden kann: Im Mai wurde der Dreispringer Robert Howard aus den Vereinigten Staaten mit Ephedrin erwischt, im Juni der tschechische Kugelstoßer Miloslav Menc mit Nandrolon, übrigens schon zum zweiten Mal binnen drei Jahren, weswegen ihm eine lebenslange Sperre droht. Bei Jamaikas Sprinter Patrick Jarrett, dem einzigen Läufer, der in dieser Saison Maurice Greene besiegen konnte, war’s Stanozolol im Juli. Bei der australischen Marathonläuferin Silvana Trampuz nochmals Nandrolon.

Da darf es nicht verwundern, dass man sich als Berichterstatter hier in Edmonton seine Gedanken macht, noch bevor die WM begonnen hat. Athleten geht es kaum anders. Auch sie wundern sich über die Kollegen und deren Leistungen, so wie Karin Ertl, die Siebenkämpferin aus München, über ihre jungen Konkurrentinnen aus Russland, die in dieser Saison Bestleistung an Bestleistung gereiht haben. „Vielleicht nehmen die ja irgendwelche Zaubermittel, die wir nicht haben“, vermutet Ertl. Und wenn: Welche?

Aber vielleicht sollte man solche Fragen besser nicht stellen. Wie es einem nämlich ergehen kann in der großen, bunten Welt der Leichtathletik, wenn man zu viel über die versteckten Praktiken wissen möchte, haben wir gerade erst bei der Pressekonferenz des Sportartikelherstellers Nike erfahren. Die US-Sprintstars Maurice Greene und Marion Jones saßen droben auf dem Podium.

Nils Schumann war auch dabei. Michael Johnson moderierte zusammen mit John Caprioti, internationaler Sportmarketing-Manager des amerikanischen Unternehmens. Allerdings nur so lange, bis ein Kollege aus England die Dreistigkeit besaß, eine Frage zum Thema Doping zu stellen. Da war die Fragestunde dann aber auch so was von schnell beendet. Journalisten verließen aus Protest den Saal. Als Grund der Aussageverweigerung gab Nike an, dass all die Superathleten, die seine Superfirma unter Vertrag hat, zu dem Termin gekommen seien, um über diese tolle WM zu reden – und eben nicht über Doping. Uns hat der Vorfall, der allgemein als Skandal empfunden wurde, noch nachdenklicher gemacht. Und skeptischer.

Sicherlich ist man nach dieser WM etwas schlauer. Schon weil der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) angekündigt hat, in den nächsten Tagen über 350 Dopingtests durchführen zu wollen. Das sind 50 mehr als bei der letzten WM. Vor allem aber: Bei 15 bis 20 Prozent der Tests soll zusätzlich auch auf Epo untersucht werden, was selbst bei Sportveranstaltungen dieser Größenordnung noch nicht selbstverständlich ist und auch bei den Leichtathleten erstmals der Fall ist.

Dass dies der Grund sein könnte, warum der ein oder andere Athlet kurzfristig seinen WM-Start abgesagt hat, teils unter fadenscheinigen Begründungen, ist nur eine Vermutung. Unumstößlicher Fakt hingegen ist, dass in Edmonton das Misstrauen mitläuft, -springt und -wirft. FRANK KETTERER