Der Grüne Heinrich
: Lara Croft. Im Porsche. Küssen

DER taz-SOMMERROMAN (V): Dr. Heinrich (45, Die Grünen) ist neu in Berlin als Ministerialrat in Trittins Umweltministerium. Doch die Biomasseverordnung und vor allem Ludger deprimieren ihn. Sein einziger Trost ist Maria (19). Sie ist seine Praktikantin. Er ist ihr Chef . . .von joachim lottmann

Arbeitsessen mit einem hohen Funktionär aus der Welt der Goethe-Institute. So wurden einem auch noch die Abende genommen. Nicht nur, dass man in einem Land lebte, das noch nicht einmal das Dosenpfand politisch durchsetzen konnte – jetzt musste Ministerialrat Dr. Heinrich aus dem Umweltressort auch noch beim Staatsminister für Kultur aushelfen.

Mein einziger Trost war Maria, 19, unsere Praktikantin, Spitzname Lara Croft.[1]Ihre Brustarbeit war in der Tat bemerkenswert und äußerst effektiv. Der Kulturati kam sogleich vollschlau ins Labern, angetrieben durch die auf ihn gerichteten Sprengsätze, und ich konnte ein Nickerchen halten.

Maria.

Kastanienbraune Augen, gebräunte Haut, auf der Hüfte ein zehn Zentimeter breiter Ledergurt mit Totenkopfmotiven. Das schwarze Unterhemd umspannte ihren gut ausbalancierten, federnden Oberkörper.

Ich war ihr Chef. Ich hätte Einfluss auf sie nehmen können und auf ihr Sexualverhalten – das wusste der weißhaarige 53-jährige Kulturcrack, der sich über argentinische Ausdruckstanzgruppenprojekte ausließ. Da war er wohl besonders bewandert. Wendekind Maria fand das „schau“, außerdem lispelte sie stark.

Der Mann hatte Handke in Portugal gemacht („Das Spiel vom Fragen“), dazu unzählige Workshops in Afrika und Südamerika, i. d. R. mit Straßenkindern aus den Falafels. Das sind Turkobuletten und auch Vororte ohne Strom, erklärte ich schnell.

Maria kicherte unsicher.

„Ganz arme Leute dort, haben aber einen guten Klamottengeschmack“, zeigte sie, dass sie mehr Ahnung hatte, als wir dachten. Die Augen streng auf Marias Unterhemd gerichtet, wurde der „Kultur“-Guru poetisch: „Diese jungen Straßenkinder haben mich zum ersten Mal gelehrt, was das heißt, AKTIV WARTEN . . .“ Er führte aus. Er habe die Anmaßung begangen, sich mit ihrer Kultur auseinander zu setzen.

„Aber wie kommuniziert man miteinander? Wir haben mit Trommeln angefangen!“

Zum Teufel mit dem eurozentristischen Kulturverständnis! Zehn Workshops nur Trommeln. Jeder mit zwölf Stunden Video festgehalten. Santiago de Bahia, Lahore, Mosambik, São Paulo, Cabinda – und die bundesdeutschen Steuermittel waren immer noch nicht aufgebraucht.

„Auch ernste Themen wurden getrommelt, etwa Gewalt gegen Kinder. Vater vergewaltigt Tochter. Jeder musste einen Topf mitbringen, dann die Geschichte des Topfs trommelnd erzählen.“

Hatten die Kids denn darin schon Übung?, wollte Lara Croft wissen. Der Mann in dem obligatorisch-legeren Schwarz-in-Schwarz-Künstleroutfit griente: „Das haben die zum ersten Mal gemacht!“

Ach, sie sind ja so ausdrucksvoll, die fremden Kulturen. „Da hatten wir eine 16-Jährige, die singt, wie ihre tote Mutter zum Altar geht, wo der Liebhaber steht, den sie mit rotem Saft beschmiert, also Blut.“

Die tote Mutter?

„Nein, die Tochter! Sie beschmiert sich ja auch selbst, macht sich damit zum Indio und ihn auch! Muss man sich mal vorstellen. Eine Katholikin macht sich zum Indio. Das sind die Momente, wo die andere Kultur durchbricht! Sie schleckt ihm das Blut ab, und er zieht sie ganz aus.“

Er mustert Maria. Seine Blicke wollen den Tisch nach unten durchbohren. Die letzten Worte hat er geflüstert, nun wartet er auf die Reaktion. Sie sagt: „Das wär toll, wenn hier ein Pool wär. Mit ’ner exklusiven Pool-Bar!“

Der Staatsrat legt schnell eine andere Platte auf, jaja, alles luxussaniert, aber inhuman, und jetzt müsse man die Immobilien billig vermieten, um sie überhaupt loszuwerden. In Rio de Janeiro dagegen, wo eine ganz andere Kultur im Einklang mit der Natur . . . Nun sprach er wieder in meine Richtung, immerhin trugen die Grünen seinen Etat mit.

Maria lispelte emphatisch dazwischen: „Billige Luxuswohnungen finde ich immer super!“ Er gibt jetzt voll die Laberbacke, aber ich sehe nur Lady Croft an, so dass er herumfährt und fragt: „Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht bei den Grünen rumsitzen?!“

Sie fühlt sich geschmeichelt, strahlt: „Lang schlafen, lang aufbleiben, viele Freunde treffen!“

Ich tauschte einen Blick mit Ludger, der fürs AA mitgekommen war. Er setzte sich zu uns und erlöste mich später von meinen Pflichten. Im Porsche[2]fragte ich Maria (die doch tatsächlich das Kärtchen von dem Multiintendanten ergattert hatte), ob wir uns küssen sollten. „Achte auf den Verkehr!“, brüllte sie mich an. Nun hatte sie erstmals auch die Stimme von Angelina Jolie . . .

Fortsetzung nächsten Samstag.

[1] Dr. Heinrich wechselt nach zwei Er-Folgen überraschend in die Ich-Perspektive zurück.[2] Tatsächlich gibt es grüne Politiker, die Porsche fahren.