„Wir haben noch einen Spielraum“

Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin kritisiert das neue Zuwanderungskonzept von Bundesinnenminister Schily

taz: Bislang hat Bundesinnenminister Otto Schily vor allem Zustimmung für sein Zuwanderungskonzept geerntet. Die Grünen wollen lediglich nachbessern. Stimmt der Berliner Flüchtlingsrat in den Jubelchor mit ein?

Georg Classen: Dafür gibt es bislang wenig Gründe. Das Eckpunktepapier deutet vielmehr auf massive Verschärfungen im Asylrecht und für bislang geduldete Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge. Wir befürchten eine verstärkte soziale Ausgrenzung der Betroffenen, zum Beispiel durch mehr Sammellager und die Ausweitung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes. Bislang kennen wir aber nur das Eckpunktepapier und nicht den 250-seitigen Gesetzesentwurf, so dass es schwierig ist, Einzelheiten zu bewerten.

Zeichnet sich denn eine Tendenz ab?

Sicherlich, beispielsweise, dass noch mehr Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge als bisher in die Illegalität gedrängt werden können. Und dass Schily nach wie vor eine Politik gegen Flüchtlinge betreibt. Aber der bisherige Entwurf ist weder mit den anderen Ministerien noch dem grünen Koalitionspartner abgestimmt. Es gibt also noch Spielraum.

Gibt es denn auch Hoffnungsschimmer?

Wir gehen davon aus, dass ein Teil der im Moment rund 25.000 in Berlin geduldeten Flüchtlinge nach dem Eckpunktepapier legalisiert werden könnte. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass andere in die Illegalität gedrängt werden sollen.

Wie sieht es mit den langjährigen Forderungen des Flüchtlingsrates aus?

Uns geht es zunächst einmal um die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung, die Anerkennung von Kriegsflüchtlingen und von weiteren Fluchtursachen wie Umweltkatastrophen sowie die vollständige Anerkennung der UN-Kinderrechtskonvention. Diese Forderungen finden sich in dem Schily-Eckpunktepapier nicht wieder.

Und aus Berliner Sicht?

Da ist unsere wichtigste Forderung die Beendigung der sozialen Ausgrenzung, das heißt Zugang zum Arbeitsmarkt und dass die Betroffenen nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sein müssen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Berlin hat auch die Änderung, dass Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge nach einem Jahr Aufenthalt in Deutschland eine Arbeitsgenehmigung erhalten können, nichts verändert. Denn die Erlaubnis wird erst dann erteilt, wenn es keine bevorrechtigten Deutschen oder Ausländer für den jeweiligen Job gibt. Diese Prüfung fällt ausnahmslos zu Ungunsten der Flüchtlinge aus.

Gibt es seit dem Amtsantritt von Rot-Grün in Berlin auch positive Entwicklungen?

Im Bereich der Abschiebehaft ja. In anderen wichtigen Bereichen wie der Altfallregelung haben wir bisher kein Einlenken seitens des neuen Senats festgestellt. Die Innenverwaltung beharrt auf der Position, dass die Leute zwei Jahre gearbeitet haben müssen, wenn sie von der Altfallregelung profitieren wollen. Hinzu kommt eine Gruppe von rund 100 alleingereisten Flüchtlinge, für die die Altfallregleung deshalb nicht greift, weil sie ohne Eltern eingereist sind.

Wie werden Sie sich Gehör verschaffen?

Wir führen Gespräche mit allen Parteien. Vielleicht können wir an einzelnen Punkten noch etwas Bewegung in die Sache bringen. INTERVIEW: HEIKE KLEFFNER