„Wir haben den Nord-Süd-Konflikt vernachlässigt“

Die Grünen-Chefin Claudia Roth antwortet den Globalisierungskritikern: Ihre Partei habe unterschätzt, dass Globalisierung kein Nischenthema sei

taz: Frau Roth, welcher deutsche Politiker sagte dieser Tage: „Wer von uns will denn Kapitalismus? Wir sind keine Vertreter des Kapitalismus. Wir wollen soziale Marktwirtschaft“?

Claudia Roth: Wolfgang Thierse oder Daniel Cohn-Bendit.

Es war Laurenz Meyer, CDU-Generalsekretär.

Ach guck an! Aber Heiner Geißler hätte das glaubwürdiger sagen können.

Dass man sich so verhauen kann zwischen dem Sozi Thierse, dem Grünen Cohn-Bendit oder dem schwarzen Meyer, zeigt das nicht: Die Grünen stehen der Globalisierung auch nicht kritischer gegenüber als die anderen Parteien?

Nein, wir Grüne sind doch ganz anders dran an Leuten, die in der Entwicklungszusammenarbeit oder im Nord-Süd-Bereich arbeiten. Wir sind also nah dran an der berechtigten Kritik an den „Auswüchsen“ der Globalisierung. Womit wir nichts zu tun haben, sind Leute, die glauben, man könne Globalisierung einfach abstellen – oder gar sein Heil im Nationalstaat suchen.

Aber im Entwurf für ein grünes Grundsatzprogramm wurde die Globalisierungskritik gerade schönfrisiert. Aus der „entfesselten Ökonomie“ wurde in der Endfassung die „positive Gestaltung der Globalisierung“.

Das ist doch keine Frage einzelner Formulierungen. Fakt ist, dass die Partei sich dieses Themas annimmt – auch im Grundsatzprogramm. Ich finde allerdings auch, wir haben in letzter Zeit die Nord-Süd-Auseinandersetzung vernachlässigt. Wir waren da mal ganz vorne mit unserem Modell für eine ökologisch-soziale Weltwirtschaftsordnung. Vielleicht haben wir uns als Partei damit in letzter Zeit ein bisschen zu wenig befasst.

Mit Demonstrationen wie in Genua will Joschka Fischer auch weiterhin nichts zu tun haben. Die Proteste kämen „im Gewand eines linksradikalen Antikapitalismus“ daher, kritisiert der Minister. Hat er Recht?

Nein, hat er nicht. Sicher gibt es da welche, die mit Formen protestieren, wie Joschka sie vor langer Zeit selber kennen gelernt hat. Aber ich würde die Forderung der Kritiker nach einer „Globalisierung von unten“ nicht unter solche Bezeichnungen subsumieren.

Das grüne Grundproblem: Wenn man auf einem Ministersessel sitzt, schaut die Welt auf einmal anders aus?

Nein, ich war auch entsetzt über die Bilder von gewalttätigen Demonstrationen beim EU-Gipfel in Göteborg oder auch über die ersten Bilder aus Genua.

Daniel Cohn-Bendit wirft seiner Partei vor, die Globalisierungsdebatte auf die Kritik an gewalttätigen Demonstranten zu verengen: „Ich finde, wir sollten als Herrschende – und das sind wir nun mal, wenn wir Außenminister sind – nicht so blöd daherreden wie die Herrschenden“ früher.

Das ist aber keine Auseinandersetzung von Dany mit der Partei, sondern mit Joschka, also ein Diskurs zwischen zwei alten Freunden über Erfahrungen aus ihrer Jugend. Der Partei empfiehlt Dany, aus den Puschen zu kommen und sich des Themas mehr anzunehmen. Recht hat er! Ich nehme das gerne auf.

Sind die Grünen nicht schlicht überrascht worden, dass da so eine große neue Bewegung entstanden ist?

Nein, aber eines müssen wir uns vielleicht vorwerfen: Wir haben unterschätzt, dass Globalisierung nicht nur ein Nischenthema ist. Das interessiert längst nicht mehr nur Experten. Junge Menschen sind vom Thema Globalisierung viel stärker angesprochen als von der Rente. Da müssen und können die Grüne sich profilieren.

Beispiel Tobin-Steuer, also das Modell des Wirtschafts-Nobelpreis-Trägers Tobin, internationale Finanztransfers zu besteuern. Von den Grünen ist dazu nichts zu hören gewesen.

Ein spannendes Projekt. Die Tobin-Steuer ist ein Instrument, wie man die Globalisierung ganz konkret beeinflussen kann. Ich wünsche mir dazu mehr Diskussionen in der Partei.

Nur Diskussionen?

Die Tobin-Steuer ist ein konkretes Projekt, und darum ist es auch ein Projekt, was unser Wahlprogramm schmücken würde.

Wenn die Grünen so eng mit den Globalisierungskritikern verbunden sind, wie Sie sagen, warum sind Sie dann eigentlich nicht nach Genua gefahren?

Gute Frage.

Und die Antwort?

Es gab keinen Beschluss, nicht hinzufahren. Und mir kann man wirklich nicht unterstellen, ich würde nicht zu Demos fahren.

Es kann also beim nächsten Gipfel passieren, dass Joschka Fischer hinter dem Zaun steht und Claudia Roth davor?

Natürlich, das ist kein Widerspruch, weil wir das gleiche Ziel haben: die Globalisierung sozialer, ökologischer und demokratischer Rechte.

INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ