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Wucht der Motive

Die Leinwand als Medium für politische Statements: Der Maler Leon Golub wird im Brooklyn Museum of Art in New York mit einer Retrospektive geehrt

Gesten der Gewalt, auf riesigen Tableaus ins Unerträgliche gesteigert

von SUSANNE ALTMANN

Auf der Grand Army Plaza in Brooklyn erhebt sich ein Triumphbogen und feiert die Heldentaten der Soldaten und Matrosen im US-Bürgerkrieg. Wenige Schritte davon entfernt, im Brooklyn Museum of Art, meldet Leon Golub erhebliche Zweifel an militärischen Heldentaten an. Der fast 80-jährige Künstler, den man getrost als „das Gewissen“ der figurativen Malerei bezeichnen kann, zeigt hier in einer Retrospektive eine Auswahl jener riesigen Leinwände, die in dem halben Jahrhundert seines Schaffens entstanden sind.

Ob es sich um die noch mythologisch grundierten Gigantenkämpfe von 1965, die schrundigen Oberflächen der Napalm-Bilder (um 1969), den fast dokumentarischen Vietnam-Zyklus (1972–74) oder die Verhör-Serien der frühen 80er-Jahre handelt: Macht und Gewalt – fast ausschließlich männliche –, Missbrauch und Terror heißen die Achsen seines künstlerischen Koordinatensystem. Wenn sich auch in fünf Dekaden Stilwandel vollzogen haben, so blieb Golub doch seinen Gegenständen treu: der menschlichen Figur und der unverblümten Sozialkritik. Dies hat Golub mehr als einmal den Vorwurf der Propaganda eingetragen und ihn, was vielleicht für eine Künstlerlaufbahn noch gravierender ist, nie den Olymp der wohlfeilen Abstrakten und Popartisten erklimmen lassen.

Aber auch in seinen theoretischen Schriften, die Hans Ulrich Obrist 1997 herausgab, zeigt sich der gebürtige Chicagoer kompromisslos: „Wir nehmen Ereignisse auf den Straßen von New York und Soweto zwar ernst, lassen aber nicht zu, dass sie die geheiligten Gebiete der Kunst betreten . . . Das Malen von weißen Vierecken ist im Vergleich zu dem, was gerade geschieht, so wirklich wie irgendein neues Automodell oder postmoderne Architektur“, erklärte er 1986. Immerhin bezeichnete der namhafte Kunstkritiker Peter Schjeldahl Golub einmal als „Weckuhr“, die auf die frühen 80er-Jahre gestellt war. Sicherlich war politischer Aktivismus auch bis dahin in der US-amerikanischen Kunstszene kein Fremdwort, nur war eben Malerei nicht gerade das Medium der Wahl gewesen. Golub bewies, vor dem populären Hintergrund der nonchalanten Arabesken eines Julian Schnabel oder David Salle, dass das Pinselhandwerk durchaus zu einem konkreten Statement in der Lage war.

Damals entstanden Werke, die die Arrest- und Folterpraktiken in lateinamerikanischen Diktaturen abbildeten. In schonungsloser 1:1-Manier isolierte und inszenierte Golub, der über ein umfangreiches Bildarchiv menschlicher Gräueltaten unabhängig von deren zeitlicher Herkunft verfügt, Tableaus wie „Interrogation I–IV“ oder den Söldneralltag der „Mercenaries“. Wenige Jahre später befassten sich seine Gemälde dann mit dem Rassismus in den Vereinigten Staaten und setzten dabei auf eher unmerkliche Symptome desselben: der hasserfüllte Blick einer schwarzen Frau, die schweren Stiefel und der Slogan auf dem T-Shirt eines Weißen, die Ikonografie des freiheitlich-demokratischen Waffenbesitzes. Kleine Gesten, deren latente Gewaltbereitschaft von den gewohnt monumentalen Formaten in Unerträgliche gesteigert wird und die sich den BetrachterInnen wie auf Bühnen, als festgefrorene lebende Bilder darstellen.

Es gleicht durchaus einem Schlüsselerlebnis, zu sehen, dass derartige Historiengemälde heutzutage überhaupt noch existieren, dass sie als relevante Kunstwerke und Zeitzeugnisse funktionieren. Vielleicht ist es auch ihre kinematografische Anlage, das ultimative Breitwandgefühl, das sie in der Ära des bewegten Bildes wie Filmstills wirken lässt. Durch die Wucht der Motive weist das hier in nur vier Räumen gezeigte Lebenswerk wenig Spielraum für eine biografische Selbstdarstellung auf, auch wenn sich die lokale Kunstkritik von New York Times bis Village Voice zur Retrospektive immer wieder an der Ähnlichkeit zwischen Golubs Aussehen und dem des betagten Picasso delektierte. Der Maler tritt bis weit in die 90er-Jahre allerdings entschieden hinter seine Sujets zurück.

Ohnehin mangelt es auffällig an Porträts. Da wäre nur die unheimliche Galerie der Diktatoren zu nennen, die Leon Golub 1976 nach Zeitungsbildern zusammenstellte: Tot oder lebendig, sind hier totalitäre Autoritäten von Franco über Ho Chi Minh und Mao bis hin zu Fidel Castro ganz lapidar versammelt. Ihr Wirken kommentieren dann die monströsen Zitate universeller Gewalt auf den angrenzenden Wänden.

Vergleichsweise kurz kommen in der Schau Arbeiten aus den letzten fünf Jahren. Hier hat sich die monolithische Bildorganisation der Vergangenheit gleichsam atomisiert und lehnt sich nun deutlich an Graffiti-Strukturen an. Häufig begleiten ironische Bonmots die Sujets: So stöhnt der gefangene Prometheus (1998) in einer Art Sprechblase: „Fuck! I didn’t expect this!“ – und schließt so den Kreis zu Golubs mythologischem Jugendwerk. Einem metaphorischen, wenn auch in keiner Weise apotheotischem Selbstbildnis kommt vielleicht jene alternde Löwin mit blauem Tattoo auf der Flanke nahe, die Golub 1998 malte. Das Schild zwischen ihren Pranken grantelt noch immer kämpferisch: „Getting old sucks!“

Bis 19. 8., Brooklyn Museum of Art, New York; Katalog bei Reaktion Books, London

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