Das große Aufräumen nach der Flut

Jetzt, wo das Hochwasser zurückgeht, machen sich Menschen in Südpolen daran, die Folgen der Katastrophe zu beseitigen. Viele sind verzweifelt. Auch die von der Regierung versprochene Soforthilfe ist bei den Opfern noch nicht eingetroffen

aus Warschau GABRIELE LESSER

Im Hochwassergebiet in Südpolen haben die Menschen mit dem Aufräumen begonnen. Die Verzweiflung ist groß. Noch ist die von der Regierung versprochene Hilfe nicht eingetroffen. Viele zweifeln, dass sie die 6.000 Zloty Soforthilfe (umgerechnet 3.000 Mark) oder drei Monatsgehälter erhalten werden.

In Trzesn, einem Vorort von Sandomierz in Südpolen, steht das Wasser noch immer in den Kellern. Doch fast alle Einwohner, die evakuiert waren, sind in ihre Häuser zurückgekehrt und haben mit dem großen Reinemachen begonnen. Das meiste müssen sie wegwerfen. Eine junge Ladenbesitzerin ist verzweifelt: „Die Margarine haben wir noch retten können. Alles andere schwamm im Wasser. Ein Kühlschrank, zwei Tiefkühltruhen, Möbel – alles ist kaputt.“

Die junge Frau steckt bis zum Hals in Schulden, hat sie doch gerade erst ihren Laden renoviert und wieder eröffnet. Und nun tropft die braune Brühe von den Regalen. Nudeln, Erbsen, Reis und Mehl haben sich in eine dickflüssige Pampe verwandelt. Wann sie das Geschäft wieder öffnen kann, weiß sie nicht. Dazu kommt noch die Sorge um den fünfjährigen Sohn: „Das Kind ist völlig verstört. Es will gar nicht mehr zurück nach Hause. Wahrscheinlich brauchen wir alle hier einen Psychologen.“

Im Nachbarhaus paddelt ein Feuerwehrmann auf einer Luftmatratze durch den überfluteten Keller. Die Hausbesitzer, Nachbarn und Kinder beobachten, ob die Aktion auch gelingt. Denn der Feuerwehrmann soll dafür sorgen, dass das Wasser wieder fließt. Ohne Leitungswasser kann sich niemand waschen. In dem Dreck und Gestank ist das besonders hart zu ertragen.

Immer wieder hallt die Stimme des Hausbesitzers über das noch ein Meter hoch stehende Wasser: „Sind Sie schon im zweiten Keller? Da ist der Haupthahn. Haben Sie schon aufgedreht?“ Dumpf kommt die Antwort zurück: „Ja, beide Hähne.“ Draußen im Garten jubelt eine junge Frau: „Wasser! Es gibt Wasser!“ Sie hält den Gartenschlauch in die Höhe und tanzt begeistert im „Regen“. Wie viele andere hat sie einen kleinen Campingkocher retten können. Darauf kocht sie Wasser, um Geschirr, Gläser, Besteck spülen zu können. „Alle Bücher und Papiere, die im Parterre waren, sind schon im Sack“, erklärt sie und stapelt 20 verschlammte CDs übereinander. Ihr Mann trägt den Fernseher aus den Haus und wirft ihn auf den „Müllberg“, dann den Videorekorder, das Radio, den Küchenmixer.

Am Ortsausgang von Trzesn stinkt es unerträglich. Hier liegt der Friedhof. Das Hochwasser hat die Gräber unterspült. Ein Mann im Schutzanzug, mit Helm und Sauerstoffmaske stapft wie in Zeitlupe über den Friedhof und spritzt die Gräber mit einem Desinfektionsmittel ab. In sicherer Entfernung steht eine junge Frau und hält sich ein Taschentuch vor den Mund: „Hier liegt mein Schwiegervater. Und die Oma liegt hier noch, dort die Tante, die Schwester im nächsten Grab. Hier war alles überflutet. Nur die Kreuze haben noch aus dem Wasser geschaut.“ Sie schnaubt ins Taschentuch und dreht das Klapprad Richtung Ausgang. Sie will sich lieber nicht vorstellen, wie es unten in der Erde aussehen mag. Dennoch gehen ihr Bilder durch den Kopf, die ihr die Tränen in die Augen treiben: „Das ist schrecklich. Wer hätte gedacht, dass das Wasser den Friedhof unterspülen könnte. Dass sogar die ewige Ruhe gestört werden könnte.“

So wie in Trzesn, so sieht es in tausenden kleinen Dörfern in Südpolen aus. Wann das Leben dort wieder normal wird, weiß niemand zu sagen. Vielleicht in einem Jahr. Und dann droht möglicherweise die nächste Flut.