Blaulichteinsatz gegen Männerfäuste

Seit vor eineinhalb Jahren in Berlin das Projekt „BIG“ gegen Gewalt in der Familie startete, ist das Berliner Modell bundesweit Vorreiter. An die Mitarbeiterinnen der Interventionsgruppe haben sich bereits 2.500 Frauen gewendet

Andrea spricht leise und ruhig. Die kurzhaarige Frau Mitte zwanzig wirkt aufgeräumt. Ihr ist zumindest äußerlich nicht anzumerken, dass sie einen qualvollen Leidensweg hinter sich hat. Jahrelang war sie in den eigenen vier Wänden den Peinigungen ihres Partners ausgesetzt, bis sie mit ihrem jetzt fast vierjährigen Sohn die Flucht ergriffen hat.

„Ich bin erst im Frauenhaus zu mir gekommen. Dort konnte ich abschalten und darüber nachdenken, was zu tun ist“, erzählt sie. Seit drei Monaten hat Andrea eine eigene Wohnung, in der sie sich einigermaßen sicher fühlt. Schlaflose Nächte habe sie immer noch. „Ich hätte nicht so lange mit dem Weggehen gewartet, wenn die Gesellschaft anders auf dieses Tabu-Problem reagieren würde“, sagt sie.

Viele Frauen in ähnlicher Lage brauchen eine helfende Hand. In Berlin wird sie ihnen seit drei Monaten direkt von den Mitarbeiterinnen einer Mobilen Interventionsgruppe gereicht. Die Initiative gehört zu dem vor sechs Jahren gestarteten, bundesweit einmaligen Modellversuch „Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt“, kurz „BIG“. Finanziert von Bund, Land und einem privaten Sponsor knüpfen unabhängige Projekte und Behörden aus den gemeinsamen Erfahrungen ein Netzwerk.

„Die Gewalt nimmt zu und wird immer extremer“, schätzt BIG-Koordinatorin Beate Nink ein. „Seit der Einrichtung unserer Hotline vor eineinhalb Jahren melden sich immer mehr Hilfesuchende, im vergangenen Jahr waren es 2.500.“ Dabei kennt die Gewalt keine sozialen Grenzen. „In den wohlhabenderen Schichten läuft es nur subtiler ab“, weiß die Expertin. Dort flögen nicht die Fäuste, sondern liefen die Misshandlungen eher auf psychischer Ebene ab. Dies reiche von Nahrungszuteilung bis zur völligen Isolation von der Außenwelt. Auch alte Frauen sind betroffen. Die bisher älteste Anruferin war 87 Jahre alt.

„Durch das direkte Eingreifen erreichen wir jetzt auch Frauen, die völlig traumatisiert oder immobil sind“, sagt eine BIG-Therapeutin nach mehrfachen Einsätzen. „Diese Initiative wird von unseren Mitarbeiterinnen und den Frauen sehr gut angenommen“, ergänzt Nink. „Zudem waren auch an solchen Einsätzen beteiligte Polizisten froh über die Unterstützung.“

Tatsächlich hat bei der Berliner Polizei, die laut einer internen Erhebung stadtweit täglich über 40 Mal mit dem Problem konfrontiert wird, die Mitarbeit im Projekt den Umgang mit dem Phänomen grundlegend verändert. „Bei uns wird inzwischen sehr offen über dieses Thema geredet“, resümiert die zuständige Kriminaldirektorin Ursula Falkenstern. 4.000 Beamte seien in Seminaren und Rollenspielen sensibilisiert worden. „Gestandene Polizisten haben begriffen, dass es sich nicht um Lappalien, sondern Straftaten handelt.“

Die Beamten führen nicht mehr zum Schlichten von Familienstreitigkeiten, sondern rückten mit Blaulicht zu Einsätzen bei „häuslicher Gewalt“ aus. „Damit gibt es keine Verharmlosung mehr.“ Jetzt werde die gesamte Palette der dabei auftretenden Delikte von der Beleidigung bis hin zur schweren Körperverletzung aufgenommen und geahndet. „Unser Ziel ist es, dies flächendeckend bis in die letzte Dienststelle durchzusetzen“, kündigt Falkenstern an. „Schon jetzt sind wir als bundesweit größte Polizeibehörde im Umgang mit dem Problem Vorreiter.“ CLAUDIA ALTMANN, DPA

Die BIG-Hotline ist erreichbar unter (0 30) 6 11 03 00. Informationen im Internet: www.berlin.de/big- hotline