Die ganz legale Giftspritze

Mit der Kartoffelernte beginnt auch der Gifteinsatz: Das Aventis-Fungizid Brestan steht im Verdacht, hormonelle Störungen auzulösen

von BERNHARD PÖTTER

Zur Kartoffelernte holen in diesen Tagen die Bauern wieder die Giftspritze aus dem Schrank. Fünfzig Tonnen des hochtoxischen Brestan flüssig stehen bereit, um knapp die Hälfte der deutschen Kartoffeln vor der Kraut- und Knollenfäule zu schützen. Was nach Ansicht von Wissenschaftlern, Umweltschützern und auch der EU-Kommission die Umwelt gefährdet, ist auf deutschen Äckern normal und legal. Ein Absetzen des umstrittenen Stoffes, mit dem die Bauern den Kartoffeln vor der Ernte die „letzte Spritzung“ verpassen, „ist derzeit kein Thema“, sagt Caroline von Kröcher vom Pflanzenschutzamt Niedersachsen. „Schließlich hat Brestan eine Zulassung.“

Genau das ist das Problem. Das Fungizid, das von der Aventis CropScience vertreiben wird und das Gift Triphenylzinn – kurz TPT – enthält, hat 1993 offiziell für zehn Jahre den Stempel „unbedenklich“ aufgedrückt bekommen – von der Biologischen Bundesanstalt (BBA), einer nachgeordneten Behörde des Ministeriums für Landwirtschaft. Und obwohl die Grüne Renate Künast als Verbraucherschutzministerin und damit oberste Chefin der BBA seit einem halben Jahr den „vorbeugenden Verbraucherschutz“ propagiert, haben die Wissenschaftler an der BBA bisher keinen Anlass gesehen, diese Zulassung zu widerrufen.

Bei einem internen Treffen in der BBA Braunschweig am vergangenen Donnerstag gestanden die Sprecher der BBA zum ersten Mal ein, es gebe „Probleme“ bei der Anwendung von TPT. Jetzt sollen die neuen Anhaltspunkte für eine Gefährdung „ergebnisoffen“ untersucht werden, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage. „Wenn sich eine Gefährdung herausstellt, wird es eine entsprechende Entscheidung geben“, hieß es. Doch eine solche Entscheidung werde erst „in den nächsten Wochen“ erwartet – dann ist die diesjährige Spritzerei schon in vollem Gang. Eine einstweilige Anordnung, um den Gifteinsatz auf den Kartoffelfeldern zu verhindern, werde es nicht geben, so das Ministerium.

Dabei fordern nicht nur die Umweltschützer ein schnelles Ende von TPT auf dem Acker. Das Umweltbundesamt (UBA) als zustimmungspflichtige Behörde hat zwar 1993 den Stoff als unbedenklich eingestuft. „Inzwischen gibt es aber so viele neue Erkenntnisse, dass wir den Stoff heute nicht mehr zulassen würden“, sagt Albrecht Klein, Leiter der Abteilung Pflanzenschutzmittel im UBA. Zwar seien die Auflagen verschärft worden, der Einsatz nur noch einmal im Jahr und mindestens 50 Meter vom nächsten Wasserlauf entfernt erlaubt. „Aber auch das reicht nicht“, so Klein. Schließlich habe eine Studie aus Niedersachsen nachgewiesen, dass TPT seit seiner Zulassung vermehrt in Fischen gefunden wird. Ein Einfluss auf Menschen ist nicht auszuschließen, fanden Forscher der Universität Bonn heraus.

Auch die Europäische Kommission für Gesundheit und Verbraucherschutz warnt vor den TPT-Gefahren. In einem als „vertraulich“ gekennzeichneten Bericht der Kommission vom 3. Juli, welcher der taz vorliegt, kommt das Komitee für Pflanzenschutz zu dem Schluss, es gebe „keine sicheren Szenarios für den Einsatz“ dieser Stoffe. „Insbesondere die Gefährdung der Anwender, die mögliche hormonelle Störung und andere ökotoxikologische Fragen sind sehr problematisch“, heißt es in dem Papier. Eine Entscheidung über das Ende der Zulassung solle „nicht länger verschoben werden“, waren sich bei einer Sitzung im Juli in Stockholm die Kommission und „die meisten Delegationen aus den Mitgliedsstaaten“ einig. Nur die Deutschen wollen bisher kein schnelles Ende des Ackergiftes. Dabei war es ihr Vorstoß, das mit TPT verwandte TBT zu verbieten, das an Schiffsrümpfen, in Textilien und Windeln vorkommt. Aber ein Verbot von TBT im Alleingang, wie es Umweltminister Jürgen Trittin durchsetzen wollte, untersagte die EU-Kommission vorige Woche.

Warum sollte nur TBT an Schiffen verboten werden, das verwandte Gift TPT an Kartoffeln aber nicht? Das TBT-Verbot forcierte das Bundesumweltministerium, um das TPT kümmerte sich die nachgeordnete Behörde des Landwirtschaftsministeriums. Die Pläne für ein Verbot des Ackergifts fielen bei der BBA allerdings nie auf fruchtbaren Boden. Bei einer Ressortabstimmung im Februar 2000 setzten die Beamten aus dem damaligen Funke-Ministerium sogar durch, dass TPT von der Liste der Organozinn-Verbindungen gestrichen wurde, auf deren Verbot die Bundesregierung in Brüssel drängen wollte.

Eine mögliche Rücknahme der Zulassung von Brestan flüssig müsse „gerichtsfest“ sein, bestätigte die Sprecherin des Künast-Ministeriums. BBA und Ministerium fürchten eine Schadensersatzklage durch den Vertreiber des Gifts, die Aventis CropScience. Die Landwirte brauchen nach Angaben von Aventis-Sprecher Wolfgang Faust das Mittel, weil es „andere Produkte für diese Anwendung so nicht gibt“. Auch gebe es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die einen vorzeitigen Ausstieg aus der Zulassung rechtfertigten.

Dieses Argument kommt dem Chemieexperten des Naturschutzbundes Nabu, Volkhard Wille, bekannt vor. „Damit hat das BBA bisher alle Versuche abgeschmettert, TPT vom Markt zu nehmen.“ Die Bundesanstalt zeige „nicht die notwendige Distanz zwischen Aufsichtsbehörde und zu überwachender Industrie“, so Wille. Er verweist auf eine Erklärung von letztem Jahr, als BBA und chemische Industrie Seite an Seite die Verschärfung des Pflanzenschutzes kritisierten und auf die enge Zusammenarbeit, mit der BBA und Chemieunternehmen die Bedenkenträger vom UBA ausgebremst hätten.

Wille ist misstrauisch, wenn das BBA nun erklärt, man werde die Gefährlichkeit von TPT erneut überprüfen. „Sie haben im letzten Jahr schon einmal die Zulassung ruhen lassen, aber das hat wenig bewirkt: Das Gift durfte nicht mehr vertrieben, wohl aber gespritzt werden.“ Und als Brestan wieder zugelassen wurde, waren die Beamten im BAA offenbar von der Harmlosigkeit des Mittels überzeugt, ohne neue Fragen zu stellen: Zusätzliche Tests, rechtlich durchaus möglich, wurden dem Hersteller Aventis nicht auferlegt.