Die Welt der Großen

BINNENWELTEN – die taz-Serie über den unsichtbaren Alltag. Teil 3: Der diskrete Charme des Geldverlierens: Die Spielbank Hamburg  ■ Von Elke Spanner

Als „schönstes Risiko der Welt“ bewirbt die Spielbank Hamburg sich selbst. Der rotgesichtige Mann wirkt allerdings nicht sehr amüsiert. Er arbeitet. Das Hemd hängt hinten halb aus der Hose. Der Gürtel ist unter den üppigen Bauch gerutscht. So würde er kaum den prüfenden Blick im Foyer bestehen. Braucht er aber auch nicht mehr. Er ist schon seit mehreren Stunden dabei. Und das nicht zum ersten Mal.

Gerade hat er beim Roulette 2500 Mark verloren. Er selbst weiß es noch nicht. Er spielt an zwei Tischen zugleich, und längst schon ist er wieder zum zweiten Tisch geeilt, hat zwei Frauen rüde zur Seite geschoben, die ihm im Wege standen. Auch hier hat er 2500 Mark auf dem Feld.

Seine Frau setzt ihm kurz ein Glas Cola an die Lippen. Nebenan zieht der Croupier mit seinem Rateau die orangefarbenen 100-Mark-Jetons an sich. 25 Stück, flächendeckend auf das obere Drittel des dunkelgrünen Spielfeldes verteilt. Im Kessel war die Kugel auf die 37 gerollt. Knapp am Gewinn vorbei. 2500 Mark, davon kann man reisen, Partys feiern, Sommer- und Winterklamotten auf einmal erstehen. Gelangweilt schaut die Gattin zu ihrem Mann. Unter dem musternden Blick eines anderen zupft sie ihr blaues Seidenkleid in Form.

Es ist kühl. Die Klimaanlage ist auf Herren eingestellt, die der Etikette gemäß in Anzug, zugeknöpftem Hemd und Krawatte gekleidet sind. Obwohl die Kleiderordnung so streng schon lange nicht mehr ist. Ordentliche Kleidung ist ein Muss, Krawatte immer noch gerne gesehen, aber ein Japaner am Black-Jack-Tisch kam auch im geringelten Poloshirt ins Kasino. Kurzärmelig. Draußen ist Hochsommer, über 20 Grad sogar am Abend, und um die nahe gelegene Außenalster flaniert man heute Abend im luftigen Gewand. Die Außenwelt aber ist weit entfernt. Neun Stockwerke, Begrüßung durch rotuniformierten Liftboy, Passkontrolle im Foyer. Oben angekommen, ist der Blick auf die restliche Welt nur an der Bar freigegeben. Vor den übrigen Fenstern sind dunkle Rollos heruntergelassen. Das wirkt diskret. Obwohl die Spielbank im 9. Stock des Hotel Interconti öffentlich zugänglich ist.

Spielkasinos wurden vom Staat eingerichtet, um das Glücksspiel aus den Hinterzimmern herauszuholen. Um es kontrollierbar zu machen. Und um daran zu verdienen: 90 Prozent Steuern auf alle Gewinne führt die Spielbank Hamburg an die Stadt ab, im vorigen Jahr waren das 109 Millionen Mark. Die Hinterzimmeratmosphäre gehört aber irgendwie doch dazu. Dichter Zigarettenqualm sammelt sich zwischen dem Pokertisch und der tief hängenden Messinglampe mit grünen Troddeln. Ein Seil grenzt den Bereich ab. Zuschauen verboten. Niemand darf ins Blatt linsen, auch aus der zweiten Reihe nicht. Poker ist das Spiel der Männer in dunklen Anzügen. Keine Frau sitzt mit am Tisch.

„Manche machen das den ganzen Tag“, sagt der Saalchef mit Blick auf eine Gruppe beim Kartenspiel Black Jack. Geöffnet wird um 15 Uhr, geschlossen um 3 Uhr nachts. Im Saal gibt es keine Zeit. Es ist immer kühl, es ist immer gedämpftes Licht, und das Spiel ist schnell. Karten werden gezogen, verteilt. Zahlen genannt, Anweisungen erteilt, „Rest“, oder „Karte“. Gewinn und Verlust wechseln sich ab, Fluchen und Lachen auch. Kaum zu fassen, wie schnell das Geld weg ist. Also noch eine Runde, es muss doch zurückzuholen sein, und wenn man gewinnt, geht es weiter, jetzt erst recht. Eine Mittfünfzigerin in rotem Kleid und Perlenkette hat es sich am äußeren linken Rand gemütlich gemacht, links der Aschenbecher, rechts die Schachtel Marlboro Light. Gegenüber zwei Freundinnen, Touristinnen, die aussehen, als kämen sie vom Ausflug aus dem Hansapark und wollten vor dem Abendessen noch kurz ein Spielchen machen. Allerdings ist es schon spät am Abend, der Sekt wird wie Wasser getrunken. Die eine Frau drängt die andere so penetrant, ihren Einsatz zu erhöhen, bis die Croupière dazwischenfunkt. Die Freundin verliert auch so schon genug. Nervös kippt sie einen Schluck Sekt herunter. Dem Verlust hinterher. Rund 500 Mark müssten es gewesen sein. Ein junger Mann, der eben noch im Stehen spielte, hat gewonnen und setzt sich jetzt doch einmal hin. Der Gewinn bleibt als neuer Einsatz liegen. Er raucht mittlerweile Kette. Die Frau in Rot sowieso schon die ganze Zeit.

Noch viele Meter vom Roulette entfernt hört man das Klackern der Jetons. Das Kreisen der Kugel im Kessel, ehe sie auf eine Zahl rollt und über Gewinn oder Verlust entscheidet. Es hört sich leicht und unschuldig an. Alles sieht so harmlos aus, nicht nach Geld, nach großen Gefühlen, dickem Gewinn oder überzogenem Girokonto. Die Jetons sind aus Plastik und bunt. Rot, gelb, weiß und orange. Beim Roulette werfen die Croupiers die Münzen quer über den Tisch, um sie dann mit dem Rateau an die richtige Stelle zu schieben. Der leichte Schwung der Handbewegung erzeugt den Charakter eines Spieles. Das dürfte auch den Croupiers den Job erleichtern. Viele, vor allem der Frauen, die hier beiläufig Tausender hin- und herschieben, sind StudentInnen bei ihrem Nebenjob.

Bis zur Bar hat sich die Spannung verflüchtigt, die rund um die Spieltische spürbar ist. Leise Hintergrundmusik, schwarze Ledersofas, Marmortische, leicht erhöht über dem Saal. Das Wirrwarr der Stimmen, das Klackern der Jetons und „faites vous jeux“ der Croupiers dringt nur mehr gedämpft he-rüber. So weit entfernt, dass man sie jederzeit ausschalten und den Saal verlassen kann. Viele der Spieler aber begeben sich nicht auf dieses Terrain. Sie lassen sich die Getränke von den Saalkellnern zum Roulette-, Poker- oder Black-Jack-Tisch bringen.

Der Anteil an Stammgästen, sagt Spielbank-Sprecherin Gunda Windberger, ist groß. Etwa 60 Prozent der BesucherInnen kommen regelmäßig. Rund 1000 Menschen haben eine Dauerkarte. Morgen Nachmittag kommt eine Schulklasse. Der Mathelehrer hat den Ausflug organisiert. Windberger findet gut, dass die mal „die Welt der Großen“ sehen. Im Durchschnitt verlieren Kasino-Gäste bei einem Besuch zwischen 150 und 180 Mark.

Große Gewinne macht nur, wer hohe Einsätze spielt. Der rotgesichtige Herr bekommt soeben Plastikmünzen im Wert von 11.300 Mark ausgezahlt. 2500 Mark bleiben als Einsatz auf dem einen, 2500 auf dem anderen Roulette. Es sind die Croupiers, die darauf aufpassen müssen. Die beobachten, wer was setzt, gewinnt oder verliert. Der Spieler selber hat dazu keine Zeit. Zumindest seine Frau versucht, den Überblick über das gemeinsame Vermögen zu behalten. Immer wieder wandert ihr Blick kurz zu der Leuchttafel, auf der das Ergebnis prangt. Irgendwann, es muss schon spät sein, ist klar, dass er den Großteil seines Geldes verloren hat. Da steigt der Tischchef von seinem erhöhten Stuhl herab, eilt dem Spieler zum Nebentisch hinterher, zupft ihn dezent am Revers und weist höflich darauf hin, dass in dem Feld, das er sonst flächendeckend mit Münzen bedeckt, zwei kleine Lücken sind. Ob das Absicht oder ein Versehen sei? Da stellt der Spieler fest, dass er nicht mehr genügend Jetons hat. Und zieht wortlos zwei Hundertmarkscheine aus dem Portemonnaie, legt sie aufs Feld und eilt weiter zum zweiten Roulette-Tisch.

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