Shut down*

Nachrichten aus Amerika (2): Ein Song von Bruce

Amerika – unendliche Weiten, unendliche Abenteuer. Unser Autor hat sie alle erlebt, hat sie alle gesehen. Und umgekehrt. Invertierte Wahrzeichen, schwule Tiger, Mama am Handy und so. Lesen Sie heute, wie alles weiterging.

Ich hing damals in der Nähe von San Fran rum, hatte kein Mädchen und war mal wieder verdammt knapp bei Kasse. Beides sollte sich bald ändern. Es war Sommer, und der Wind peitschte den Sand über die heißen Ausfallstraßen und Interstates, auf denen die Kids ihre illegalen Autorennen fuhren. Ich sah ihnen manchmal zu, und selten wettete ich auch ein paar Dollar auf irgendeinen heißgemachten Dodge oder Mustang, der mir besonders schnell und gefährlich auszusehen schien.

Bei einem dieser Rennen traf ich Sonny. Er trug ein zitronengelbes Hemd, Jeans und abgelatschte Cowboystiefel. Ich hab ihn nie in einem anderen Outfit gesehen. Er sprach mich an, als wir gemeinsam einen rauchenden Chevy inspizierten, dem es beim Start die Motorhaube weggeblasen hatte. „Scheiße, Mann, das würde mir nicht passieren“, sagte er. „Du kennst dich aus?“ fragte ich. „Auskennen?“ lachte er. „Scheiße, das ist mein Fleisch und Blut. In diesen Adern fließt purer Sprit.“

Wir hörten nicht auf zu quatschen, zogen gemeinsam in eine Kneipe und nach ein paar Litern Bier hatte er mich so weit, dass ich einwilligte, sein Partner zu werden. Mit unseren letzten zusammengekratzten Mäusen kauften wir uns gleich am nächsten Tag bei einem ominösen Gebrauchtwagenhändler der untersten Kategorie einen abgewrackten 69er Chevy mit einer 396er Maschine. In Sonnys Hinterhof bastelten wir zehn Tage und zehn Nächte daran rum, bis wir die Kiste einigermaßen aufgemöbelt hatten, die Lachgaseinspritzung zuverlässig funktionierte und die beiden Turbolader, die wir aus schrottreifen japanischen Kleinwagen herausgeholt hatten, nicht mehr sämtliche Motordichtungen durchbliesen. Von außen sah der Hobel immer noch aus wie ein Stück Scheiße, aber innen schlug jetzt das Herz eines echten Rennpferdes. Sonny hatte den Mund nicht zu voll genommen. Er hatte wirklich Ahnung. Fahren durfte ich die Kiste jedoch. „Du hast dieses draufgängerische Funkeln in den Augen“, hatte Sonny gesagt.

Die meisten Rennen gewannen wir mit fliegenden Fahnen. Ich wartete, bis die Ladedruckanzeige in den roten Bereich vorstieß, dann ließ ich die Kupplung beinahe fliegen und unser Baby malte zwei schwarze Striche auf den Asphalt. Bei knapp über fünfzig Meilen schaltete ich das Lachgas zu und von da an sahen die ganzen Mustangs, Corvettes und Camaros nur noch eine Staubwolke am Horizont, die Feuer aus dem Auspuff rotzte.

Das machte schon Spaß, aber wir waren nicht zum Spaß hier, sondern um Geld zu machen. Und das machten wir auch. Wir tourten den ganzen Sommer lang die Städte im Nordosten ab und überall hinterließen wir auf den fire roads und Interstates nichts als schwarze Striche und leere Geldbörsen. „Weißt du“, sagte Sonny einmal zu mir, als wir auf der Motorhaube lagen, ein Bier soffen und in den Sonnenuntergang starrten, „manche Typen hören einfach auf zu leben. Die sterben jeden Tag ein Stück mehr. Und manche Typen kommen nach Hause, waschen ab und gehen anschließend Rennen fahren. Das ist der ganze Unterschied.“ Ich hab damals nicht verstanden, was er meinte.

Mein Mädchen hab ich auch in diesem Sommer kennengelernt. Sie saß in einem schwarzen Camaro mit ihrem Typen aus L.A. Ich hab den Camaro gleich im ersten Durchgang so brutal verblasen, dass sie später mit mir nach Hause gefahren ist. Das war vor drei Jahren.

Alles ist irgendwie den Bach runtergegangen seitdem. Mein Baby hat Falten um die Augen bekommen, und ich höre, wie sie sich nachts in den Schlaf weint. Wenn ich heimkomme, ist das Haus dunkel. Sie sitzt vorm Fernseher und seufzt: „Na, hastes mal wieder geschafft?“ Oder sie hockt auf der Veranda und starrt in die Dunkelheit, mit den Augen von jemandem, der es bereut, überhaupt geboren worden zu sein. Ich weiß nicht, was mit ihr los ist.

Ich weiß nicht mal, was mit mir los ist. Am liebsten würde ich sie ins Auto packen und mit ihr ans Meer fahren, damit wir uns die Sünden dieser Jahre von den Händen waschen können. Aber stattdessen hänge ich in Kneipen rum und besaufe mich. Ich weiß nicht, ob Sonny noch Rennen fährt. Ich hab ihn seit zwei Jahren nicht gesehen. Vielleicht sollte ich ihn suchen gehen.

Vielleicht sollte ich auch wieder Rennen fahren. Neulich saß neben mir an der Bar so ein Typ. Er sagte, er wäre Musi-ker. Schreibt Songs und so. Ich hab ihm bei ein paar Bieren meine ganze Lebensgeschichte aufgetischt. Ein paar Tage später kam er wieder und sagte, er hätte einen Song über mich geschrieben. Über meine Zeit auf der Straße.

Ich hab den Song noch nicht gehört. Der Typ hieß Bruce. An den Nachnamen kann ich mich nicht mehr erinnern. Irgendwas mit Spring ... Springwater, Springfield oder so. Wenn ihr mal ne Platte von ihm seht, sagt mir Bescheid. Vielleicht ist ja mein Song drauf. Ich würd ihn gern mal hören.

Tim Ingold