Die Post geht ohne Nils Schumann ab

Der Schweizer André Bucher wird Champion über 800 m, der Olympiasieger von Sydney lediglich Fünfter

EDMONTON taz ■ Der Held von Sydney stapfte davon. Wortlos. Grußlos. Mit schwerem Schritt und hängenden Schultern, den Blick stier auf den Boden gerichtet. Nils Schumann sah in diesem Moment aus wie ein geprügelter Hund – und keinen Zweifel gab es daran, dass er sich auch so fühlte. Schließlich war er ja tatsächlich übel geschlagen worden. André Bucher, der schnelle Schweizer, hatte sich gerade den Titel geschnappt über 800 Meter, aber das kam noch nicht einmal so unerwartet. Dass aber auch noch der Kenianer Wilfred Bungei, der Pole Pawel Czapiewski und Bungeis Landsmann William Yiampoy vor Schumann nach der zweiten Stadionrunde über den Zielstrich gestürmt waren, muss den jungen Thüringer doch arg entsetzt haben.

„Natürlich bin ich über Platz fünf enttäuscht“, gab der 23-Jährige nach einem Moment der Besinnung zu Protokoll. Was hätte er auch anderes sagen sollen? Etwa dass der WM-Titel ohnehin von Anfang an außer Reichweite lag nach einer Saison voller Pannen und Verletzungen? Dass der Schweizer Bucher, als Inhaber der Jahresweltbestzeit (1:42,90) in Edmonton angetreten, in solcher Form eine Nummer zu groß ist für ihn? So zu denken, ist nicht Schumanns Ding, was gut so ist; wenn er es täte, wäre er nicht Olympiasieger geworden, niemals.

Also hatte er sich und allen, die es hören wollten, eingeredet, dass er es doch schaffen könnte, trotz der Verletzung, die ihn so lange behindert hatte, und trotz Bucher. „Ich hoffe auf eine Medaille und habe auch die goldene noch nicht aufgegeben“, hat Schumann in der Woche vor dem Rennen erzählt, immer und immer wieder, so oft, bis er es selbst geglaubt hat. Und war Bucher nicht auch in Sydney als Weltbester und großer Favorit angetreten – und als enttäuschter Fünfter wieder ab, weil er das Rennen zu langsam gestaltet hatte und so in eine Rempelei geraten war? Vielleicht würde ja auch in Edmonton etwas Ähnliches passieren, 800-Meter-Rennen sind eine unwägbare Angelegenheit. „Das ist eine WM, da geht es ums Gewinnen“, hat Schumann jedenfalls nach seinem Halbfinallauf gesagt, „und das kann ich ganz gut“ – besser jedenfalls, so schien es vorher, als Bucher, der noch nie zuvor einen großen Titel gewonnen hatte.

Im Nachhinein hat sich aber auch dieser Satz als bloßes Pfeifen im Wald herausgestellt: Vom Start weg war Schumann im Hintertreffen, sah sich von den Konkurrenten im hinteren Feld eingekesselt, weil nicht schnell genug losgelaufen. Vorne aber versuchte Bucher auf die Tube zu drücken, mit dem Kenianer Wilfred Bungei fand er zudem einen unverhofften Verbündeten. „Er hatte die gleiche Idee wie ich: das Rennen schnell zu machen“, beschrieb Bucher diese erste vorentscheidende Phase. Es war schon deshalb eine glänzende Idee, weil sie Schumanns Minimalchance noch weiter absinken ließ. Denn nicht vergessen darf man, dass der Olympiasieger noch nie im Leben schneller als 1:44,22 Minuten gelaufen ist, und das können doch einige auf der Welt. In einem Temporennen, so war klar, würde er früher oder später passen müssen.

„Wenn du siehst, dass vorne die Post abgeht, und du kommst nicht mit, resignierst du irgendwann“, beschrieb Schumann hernach den Moment der Entscheidung, der früh fiel und dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Als es in die letzte Kurve ging, hing der Thüringer sogar noch ganz am Ende des Feldes fest, erst sein berühmter Schlussspurt brachte ihn noch weiter nach vorne.

Nils Schumann zog sein WM-Fazit schließlich eher ernüchtert. „Man hat heute gesehen, wie schwer es ist und wie schnell es geht“, sprach er – und meinte damit seinen Sturz von Rang eins auf Rang fünf in der internationalen 800-Meter-Hierarchie innerhalb nur eines Jahres. Andererseits ist so viel Schlimmes nun auch wieder nicht passiert angesichts der Tatsache, dass Schumann in Edmonton immerhin acht Hundertstelsekunden schneller war als bei seinem Olympiasieg. Nur war er damals, in Sydney, ein Nobody, den die Konkurrenz unterschätzte, was ihn zum Günstling des Augenblicks machte. Jetzt aber ist er der Olympiasieger, den alle Welt beobachtet und schlagen will. Das Siegen wird das auch in Zukunft nicht leichter machen für Nils Schumann. KET