nach dem krieg ist vor dem krieg
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von WIGLAF DROSTE

Wenn von komplizierten Friedensverhandlungen die Rede ist, weiß man, dass es Krieg gibt. Und wenn dieser Krieg dann unmittelbar bevorsteht, hört sich das so an: „Ich rufe von dieser Stelle aus alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, in dieser Stunde zu unseren Soldaten zu stehen. Sie und ihre Familien sollen wissen, dass wir das Menschenmögliche tun für den Schutz unserer Soldaten bei diesem schwierigen und auch gefahrvollen Einsatz. Gleichwohl, dies gilt es ehrlich zu sagen, können wir Gefahren für Leib und Leben unserer Soldaten nicht völlig ausschließen.“

So sprach der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, als es galt, zivile Restjugoslawen um- und in die andere Welt zu bringen zugunsten einer anschließend selbstverständlich sehr stark gebesserten Welt. So spricht man als Mordabnicker, wenn es ans große und gute, ans staatlich deckende und sanktionierende Töten geht – in diesem salbungsvollen, geradezu einbalsamierten Tonfall. Die Sprache hat gewissermaßen schon staatsmännisch Trauerhalbmast geflaggt: „von dieser Stelle“, „in dieser Stunde“ und „bei diesem schwierigen und auch gefahrvollen Einsatz“ sind „unsere Soldaten“, nein, nicht im Krieg, sondern: „im Einsatz“. Das Wort „Krieg“ wird vermieden, weggedrückt und lügend verschwiegen bis zur Nichtexistenz: Kriege gibt es eigentlich gar nicht mehr, außer bei diesen widerwärtig Unzivilisierten irgendwo da draußen, und deren Kriege werden beendet mit einem „Einsatz“. Hurra und Halali, den Schurken einen Schuss ins Knie!

„Einsatz“: Das klingt nach Fitness, Engagement und Verdienstkreuz, notfalls noch nach Putzeinsatz und Arbeitseinsatz, was Maloche bedeutet und Schweiß, aber eben nicht den Fluss von Blut und Tränen. Kein Wort darüber, dass Politik und Diplomatie – also Politiker und Diplomaten – aus Unfähigkeit habituell oder absichtsvoll komplett versagten und scheiterten. Weshalb auch, ganz „ehrlich“, die Vokabeln „Leichensack“ und „Zinksarg“ vermieden werden. Stattdessen werden wieder und wieder dumpf „Unsere“ aufgeboten – die ohne Argument und Verstand automatistisch-vaterländisch zu verteidigen wären gegen die anderen, die Feindlichen, deren man so dringend bedarf. Die zum Hassen müssen sie sein, die Schuldigen, die Schurken, die Schweinehunde, die eben auch umgebracht werden dürfen, nein: sogar umgebracht werden müssen im Namen des Guten, für die europäischen Werte, für die Zivilisation, für die Demokratie – die hin und wieder in ein bisschen anderer Leute Blut gebadet werden muss, damit ihre Propagandisten sich noch das Attribut „wehrhaft“ als Lametta an die uniformierten Brüste stecken können. Noch perverser als staatsmännisch gefettete Gurgeln wie die von Gerhard Schröder sind die so genannten Herzen von Müttern, Ehefrauen, Bräuten und Freundinnen, die vor Stolz anschwellen darüber, dass der ihrige potenziell zum Morden und/oder Ermordetwerden bestimmt wurde. Wenn das gute Europa über den schwierigen Frieden spricht, dann weiß man: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.