Kettenhund auf Butterfahrt

In Berlin dreht sich vor der Wahl zum Senat alles nur noch um das neue politische Personal. Was aber treiben die alten Kräfte? Was macht eigentlich Heinrich Lummer?

„Short people have no reason to live“, sang Randy Newman vor langer Zeit ganz hinreißend

Seine große Zeit ist schon lange vorbei. Anfang der Achtzigerjahre wurde der kleine Gernegroß Berlins Senator für Inneres. Als damals die SPD-Regierung in ihrem selbst angerührten Sumpf stecken blieb, trat er als Retter vor der Hausbesetzerbewegung auf. Gern ließ er sich als Mini-Napoleon auf den Balkons gerade geräumter Häuser ablichten. 1986 dann, als der Kettenhund seine Pflicht erfüllt hatte und selbst für seine Parteifreunde einfach zu streng roch, wurde er entfernt.

Ein Fall also für die „Was macht eigentlich?“-Rubrik auf der letzten Seite des Stern? Ganz und gar nicht. Der kleine Wicht befindet sich zwar auf einem politischen Abstellgleis, aber er hört nicht auf, heftigst zu ramentern. Er versuchte sich als Moderator im Regionalsender TV-Berlin und ist seit 1998 Ehrenpräsident bei den „Deutschen Konservativen e.V.“. In dieser Eigenschaft hat das Männlein eine Menge zu tun. Er muss das Volk aufklären mit Broschüren, die so gefährliche Gesinnungstitel tragen wie „Deutschland soll deutsch bleiben“. Dort hegt er die Befürchtung, dass „das deutsche Volk aufhören soll, als deutsches Volk zu existieren“. Schlimme Albträume plagen den Mann. Und deshalb „räumt Heinrich Lummer auf“, wie die Verlagswerbung der Konservativen kraftmeierisch herauströtet, welche außerdem in fast putziger Weise darauf hinweist: „Das Buch ist sehr gut.“ Dafür Werbung sehr schlecht, fällt einem darauf ein, wie überhaupt immer wieder offenbar wird, dass das Vox-populi-Genöle in eigenartigem Kontrast zur Einfältigkeit steht, die die biederen Konservativen ausdünsten.

Und so hat Lummer das Schicksal eines Grüßaugust ereilt. Auf politischen Butterfahrten nach Berlin (fünf Tage für nicht billige 1.420 Mark), die seine konservativen Freunde veranstalten, verscherbelt Lummer als Reiseleiter den Rentnern statt Heizdecken seine Weltanschauung. Auf dem Programm stehen: „Reichstagsbesuch“, „gemütliches und uriges Abendessen in Bolles Bootshaus und bei Kalle uff’n Bahnhof“, „eine herrliche Bootsfahrt auf den Spree-Kanälen“ und ein „Referat zur Lage Berlins und Gespräch mit Heinrich Lummer‚ 10 Jahre nach der Mauer‘“. Es muss die Hölle sein.

In einer anderen Kampfschrift bezieht Lummer Stellung zur so genannten rechten Gewalt, die bei ihm nur in Anführungszeichen vorkommt, weil sie in seinen Augen zweifelhaften Ursprungs ist. Sicher, „Gewalt ist Gewalt“, analysiert Lummer messerscharf, aber die Linke ist doch viel, viel schlimmer. Er gibt zu bedenken, dass „der gravierende Anstieg rechtsextremer Taten teilweise herbeigeredet wird“. Das ist fast so goldig wie die Warnung Schröders, die Krise nicht herbeizureden, was eine mentale Leistung ohnegleichen wäre, würde es mit der sensiblen Wirtschaft deshalb bergab gehen, weil schlecht über sie gesprochen wird.

Es findet eine „Dramatisierung der Daten“ statt, lamentiert Lummer weiter, dabei ist es doch gar nichts Besonderes, wenn hierzulande mal ein Ausländer totgeprügelt wird. Das passiert in anderen Ländern auch, weshalb also sich darüber aufregen. Lummer sind da weit schlimmere Dinge ein Balken im Auge. Zum Beispiel die Kritik Paul Spiegels am Begriff der Leitkultur. „Wer so redet“, redet Lummer sich um seinen Strohkopf, „dürfte sich nicht wundern, wenn eine Gegenfrage an ihn lautet, ob es denn israelische Leitkultur sei, Palästinenser zu jagen.“ Und er wirft Spiegel vor, dass dessen „Rede jenen Stoff enthält, aus dem das wächst, was Spiegel zu bekämpfen vorgibt: Antisemitismus“.

Was mischt sich ein Jude in die innere Angelegenheit Deutschlands ein, soll er doch lieber vor seiner eigenen Haustür kehren, womit Lummer Paul Spiegel in seiner Fantasie bereits ausgebürgert hat bzw. davon ausgeht, dass sowieso alle Juden unerwünschte Ausländer seien und gefälligst die Klappe zu halten haben, weil es sonst Antisemitismus gibt, unter dem mal wieder die Deutschen als Opfer am meisten zu leiden hätten, weil üble Finger wie Paul Spiegel ihn herbeireden.

„Short people have no reason to live“, sang Randy Newman vor langer Zeit ganz hinreißend. Heinrich Lummer bemüht sich redlich, dieser selbstverständlich jeglicher Grundlage entbehrenden Aussage zumindest in seinem speziellen Fall wieder einen Sinn zu verleihen.

KLAUS BITTERMANN