edmontonian des tages: michael buß, der eingebildete kranke
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Im Frühjahr noch ist es dem Hochspringer Martin Buß gar nicht gut gegangen. Seltsam schlapp und müde hat er sich da andauernd gefühlt, und wenn er den Trainingsplatz auch nur betrat, hätte er sich schon auf die weiche Hochsprungmatte legen können, um ein Schläfchen zu halten. Entsprechend waren denn auch seine Leistungen im Wettkampf, mickrige 2,19 Meter standen lange Zeit zu Buche, damit ist heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen. „Irgendetwas stimmte nicht mit mir“, erinnert sich Martin Buß an diese für ihn nicht einfache Zeit; ein schlimmer Verdacht, was dieses sein könnte, beschlich ihn zudem: Das Pfeiffersche Drüsenfieber, eine in der deutschen Leichtathletik nicht unbekannte Viruserkrankung.

Martin Buß ist schließlich zum Arzt gegangen, zu Professor Kindermann nach Saarbrücken: Ultraschall, internistische Untersuchungen, das volle Programm eben. Wenigstens das Ergebnis des Checks war rundum erfreulich: „Es war alles in Ordnung. Ich war kerngesund“, erzählt Buß. Seit er das weiß, springt er wieder eine Klasse besser – mindestens. „Das war wohl eine Kopfsache“, glaubt Buß mittlerweile selbst, nur ein paar Tage nach der Untersuchung jedenfalls wurde der Berliner in Stuttgart mit 2,30 m Deutscher Meister. Wäre ihm das nicht gelungen, hätte er erst gar nicht mitfahren dürfen nach Edmonton.

Dem Deutschen Leichtathletik Verband (DLV) wäre dann einiges entgangen, zum Beispiel die Goldmedaille, die Martin Buss am Mittwochabend im Commonwealth Stadium gewann, als erster Deutscher und somit noch vor Diskushüne Lars Riedel. 2,36 m überquerte der Berliner, so viel wie nie zuvor in seinem Leben, und so viel wie keiner seiner Konkurrenten. Beeindruckend aber vor allem die Art und Weise, wie der 1,95 m große Buß zum Titel sprang: 2,30 m hatte er im ersten Versuch gepackt, 2,33 m gerissen. Weil aber die Russen Jaroslaw Rybakow und Wjatscheslaw Woronin sowie der kubanische Ex-Koks-Konsument Javier Sotomayor über diese Höhe auf Anhieb sprangen, musste Buss wegen seines Fehlversuches, so viel stand zu diesem Zeitpunkt fest, mindestens 2,36 m springen, um sich die Chance auf eine Medaille zu erhalten. Platz vier war ihm ohnehin schon sicher.

Und so entschloss sich Buß zum Pokerspiel, „obwohl ich eigentlich kein Pokerspieler bin“, verzichtete auf seine beiden noch verbleibenden Versuche über die 2,33 m und widmete sich gleich der nächsten Höhe. „Wenn ich alles in einen Sprung über 2,33 Meter gelegt hätte, wäre der dann vielleicht so deutlich drüber gewesen, dass er auch für 2,36 m ausgereicht hätte“, begründete der 25-Jährige später, warum er gleich die nächsthöhere Marke in Angriff nahm, der Ausgang des Wettbewerbs sollte ihm ohnehin Recht geben: Zwar scheiterte Martin Buß im ersten Versuch noch knapp, im zweiten aber segelte er relativ sicher über jene Höhe, die an diesem Abend für alle anderen im Wettbewerb zu hoch sein sollte und dem Deutschen Gold einbrachte. KET