frankie goes to edmonton
: Reiche Beute bei Dopingtests in Edmonton

Bang

Heute mal nichts Lustiges an dieser Stelle, heute gibt es ernste Dinge zu berichten von der WM der Leichtathleten in Kanada. Zum Beispiel den Dopingfall der einheimischen 100-Meter-Läuferin Venolyn Clarke. Zwar war die 34-jährige Lehrerin aus Ontario im Viertelfinale bereits ausgeschieden, viel mehr von sich reden aber machte Miss Clarke, als bekannt wurde, dass man bei einer Trainingskontrolle, durchgeführt noch unmittelbar vor der WM, das anabole Steroid Stanozolol in ihrem Körper gefunden hatte, also jenes Dopingmittel, das schon ihrem Landsmann Ben Johnson einst zum Verhängnis geworden war, damals, bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul. Ein Tatbestand, der selbst den Kollegen von der National Post zu einem schnippischen Kommentar verleitet hat gegen seine eigene Landsfrau, gleich auf Seite eins. „Wir werden zwar nicht viele Medaillen holen“, stellte er dort völlig korrekt fest, „aber wenn es einen Preis für den dümmsten Athleten gäbe, hätten wir ihn sofort.“

Dabei scheint den guten Mann weniger die Tatsache des Betrugs an sich, sondern eher seine in der Tat dümmliche Art und Weise aufzubringen: Stanozolol ist nun wirklich ein Stoff, den jeder Dopingfahnder auch noch nachts im Schlaf entdecken würde. „Das ist so altmodisch“, jammerte entsprechend der Kollege von der Post – und empfahl den Mannschaftsverantwortlichen von Team Canada, doch bitte vorsorglich sicherzustellen, dass ihre Stabhochspringer „nicht noch mit Bambusstäben springen“.

Venolyn Clark, in der Tat auffällig bepackt mit allerlei Muskel und in den vergangenen neun Jahren nicht ein einziges Mal im Training auf verbotene Schnellmacher getestet (was an sich schon skandalös ist), reiste inzwischen ab, wie einst Johnson hat man sie unehrenhaft aus der Mannschaft entlassen.

Erst gar nicht angereist zur WM war hingegen Fabiane dos Santos, 800-Meter-Läuferin aus Brasilien, die bereits im Mai mit Testosteron erwischt wurde. Da die böse Frau, in diesem Jahr immerhin Zweitbeste der Welt und damit bis vor kurzem noch eine der WM-Favoritinnen für das 800-m-Rennen, bereits 1995 des Betrugs überführt und für zwei Jahre gesperrt wurde, ist ihre sportliche Karriere beendet, was gut so ist.

Und doch ist all dies, wenn der Schein nicht trügt, nur ein laues Vorspiel zu dem, was diese WM noch überschatten könnte. Schwere, dunkle Wolken sind nämlich schon aufgezogen über dem Commonwealth Stadium, prall gefüllt mit allerlei Dopingfällen – und vielleicht ist das Gewitter mit jeder Menge Blitz und Donner schon herniedergeprasselt, bis diese Zeitung auf dem Frühstückstisch liegt, durch die Zeitverschiebung wäre das durchaus denkbar. Stand der Dinge, jedenfalls nach Ortszeit Kanada, ist, dass elf der 50 bei dieser WM genommenen Dopingproben auf das Blutdopingmittel Epo Verdächtiges zu Tage gefördert haben – und daraufhin zu weiteren Untersuchungen nach Lausanne verschickt wurden. Dazu muss erklärt werden, dass so ein Epo-Test aus zwei Komponenten besteht: zuerst wird das Blut eines Athleten auf den Blutverdicker untersucht, erst dann – und nur wenn im Blut Verdachtsmomente gefunden wurden – auch noch der Urin. Als des Dopings mit Epo überführt, gilt ein Athlet derzeit erst, wenn beide Befunde positiv ausfallen; die Wahrscheinlichkeit, dass der Bluttest durch den Urintest bestätigt wird, ist aber immerhin recht hoch, auch wenn Arne Ljungqvist, der Anti-Doping-Beauftragte des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF darauf pocht, dass die auffälligen Werte „Hinweise, aber keine Beweise“ seien.

Dies als Grundlage genommen, wären also elf von 50 getesteten Athleten in Sydney mit Epo im Blut erwischt worden, was einer Quote von deutlich über 20 Prozent entspräche. Das dürfte einerseits als Skandal empfunden werden, wäre andererseits aber auch erklärlich: Nach Epo wird, zumindest was die Leichtathletik anbelangt, bei dieser WM erstmals großflächig gefahndet, vielleicht haben einige Athleten das Risiko des Erwischtwerdens, zumal im Training, doch unterschätzt oder erst gar nicht ins Kalkül gezogen.

Besonders brisant bei alledem ist, dass sich unter den auffälligen Proben auch die der Russin Olga Jegerowa befindet. Die 5.000-Meter-Läuferin wurde schon Anfang Juli beim Golden-League-Meeting in Paris mit Epo im Körper angetroffen, weil damals aber nur der Urin untersucht wurde, kam der positive Befund nicht zum Tragen. So galt Jegorowa hier in Edmonton zunächst als suspendiert, bevor ihr die IAAF aus juristischen Gründen doch noch die Starterlaubnis zuerkennen musste. Dass Jegerowa nun schon wieder zu den Verdächtigen zählt, ist geradezu eine Ungeheuerlichkeit. Auf jeden Fall hat die Kanadierin Venolyn Clarke im Kampf um die dümmste Athletin mit der Russin härteste Konkurrenz bekommen. FRANK KETTERER