Sechs Monate Kuhhandel

von BERNHARD PÖTTER

5.000 wütende Bauern schrien und pfiffen, als die grüne Ministerin zu ihnen sprechen wollte. Nur mit Mühe konnte sich Renate Künast Anfang Juli auf dem Deutschen Bauerntag in Münster Gehör verschaffen. Die Agrarwende werde kommen, rief sie: „Versuchen Sie nicht, einen fahrenden Zug aufzuhalten!“ Die Landwirte wollten das nicht hören und Bauernverbands-Präsident Gerd Sonnleitner sagte: „Eine Agrarwende brauchen wir nicht.“

Nimmt man das Interesse von Politik und Verbrauchermehrheit, hat Sonnleitner gar nicht so Unrecht. Neun Monate nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland und fünf Monate nach der Aufregung um die Maul-und Klauenseuche ist die Landwirtschaftsreform von der politischen Bildfläche verschwunden. Im Juni musste Künast schon einen politischen Koalitionsstreit vom Zaun zu brechen, bis Finanzminister Hans Eichel 330 Millionen für die Agrarreform herausrückte, die Schröder eigentlich schon zugesagt hatte. Und im Juli bremsten die Bundesländer eine schnellere und stärkere Umschichtung der EU-Mittel hin zu Ökomaßnahmen, die Modulation. Der Fleischkonsum, auf dem Höhepunkt der Krise bis auf 30 Prozent des Vor-BSE-Niveaus abgesackt, liegt wieder bei etwa 80 Prozent.

Immerhin die Reform eingeleitet

Dabei sind auch ein halbes Jahr nach Künasts Regierungserklärung die Probleme nicht gelöst. In Kürze wird Deutschland wohl den 100. BSE-Fall haben, erst gestern wurde aus Bayern das 97. wahnsinnige Rind gemeldet. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden kürzlich wegen der Schweinepest tausende Tiere getötet. Immerhin – nach einem halben Jahr im Amt hat Künast die Wende eingeleitet:

Modulation: Ab 2003 werden die EU-Prämien für Landwirte um zwei Prozent gekürzt, in die Planungsmittel GAK umgeleitet und nach ökologischen und sozialen Kriterien vergeben. Ursprünglich diskutiert wurde eine Modulation bereits ab 2002 und bis hin zu 12 oder gar 20 Prozent.

Veränderung der Planungsmittel GAK: Deutsche Zahlungen gibt es nur noch für Umweltschutz, Ökolandbau und artgerechte Tierhaltung, jedoch nicht für Käfighaltung, Anbindehaltung oder mehr als zwei Kühe pro Hektar.

Hennenhaltungsverordnung: Legebatterien werden ab 2007 verboten, nicht erst 2012. Nur noch bis 2011 statt wie bisher geplant 2021 dürfen ausgestaltete Käftigbatterien genutzt werden. Kommenden Monat berät der Bundesrat die Verordnung.

Ökosiegel: Ein staatliches Siegel soll ab Herbst Produkte nach der EU-Öko-Norm auszeichnen. Ein konventionelles Siegel, das sichere Produkte kennzeichnet, entwickeln Verbraucher, Landwirtschaft, Hersteller, Handel und Politik.

Naturschutzgesetz: Bewirtschaftung in Feuchtwiesen und Hanglagen sowie der Pestizideinsatz werden beschränkt, pro Hektar sind nur zwei Kühe erlaubt.

BSE-Kohortenlösung: Zu Beginn der Krise wurde bei einem Fall die gesamte Herde getötet. Nun ist es die „Geburtskohorte“: Tiere, die ein Jahr älter oder ein Jahr jünger sind als das betroffene Rind, Tiere, die das gleiche Futter bekamen, und Nachkommen kranker Kühe.

Stark gemacht hat sich Künast auch für Reformen auf EU-Ebene, beispielsweise die 90-Bullen-Grenze. Danach soll es Subventionen nur für bis zu 90 Rinder pro Hof geben, für Geld bei mehr Rindern müssen ökologische und soziale Kriterien erfüllt werden. Für Veränderungen setzt sich das Ministerium auch gemeinsam mit Frankreich ein (siehe unterer Text).

Allerdings laufen die Reformen nur langsam an. Zu langsam, findet Onno Popinga, Agrarwissenschaftler an der Uni Kassel und Ökolandwirt. „Es ist bisher bei der Agrarwende nur wenig mehr als nichts herausgekommen, weil die Politik nicht mutig genug ist.“ Neue Vorschriften für Tierhaltung und Transporte gingen nicht weit genug, die geringfügige Modulation sei nur ein Zukunftsverprechen. Zudem ändere diese Regelung kaum etwas daran, dass die Höfe nach der Flächengröße gefördert würden. Die Strukturen in der Politik und im eigenen Haus habe Künast nicht verändert, klagt Poppinga. „In den ersten Monaten hätte sie alles machen können, wenn sie die Öffentlichkeit mobilisert hätte.“ „Das hätte uns zwei Wochen Schlagzeilen gebracht, nicht mehr“, erwidert Künasts Staatssekretär Alexander Müller (Grüne). Die Wende sei ein Mararthonlauf, für den man einen langen Atem brauche. Entscheidende Weichen seien aber gestellt: Die Modulation sorge dafür, dass Geld vom Gießkannenprinzip hin zur Förderung von Umwelt- und Sozialmaßnahmen ausgegeben werde. Deutsche Mittel gibt es nach der Änderung der Kriterien für die „Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz“ nur für ökologisch sinnvolle Vorhaben. „Wir müssen kontinuierlich den Druck aufrechterhalten.“

Angst vor blutiger Nase

Müller argumentiert, bei dem engen Geflecht aus Interessen von Ländern, Bund und EU, den Verbrauchern und dem Handel müsse man Reformen breit anlegen, „sonst holt man sich nur eine blutige Nase“. Ein großer Erfolg ist für Müller die gestiegene Nachfrage nach Bioprodukten: „Inzwischen beginnen die großen Ketten von Aldi bis Spar, Ökolebensmittel nachzufragen.“ Völlig umgeräumt sind die Supermarktregale allerdings nicht. Nach einer Studie des Hannoveraner Instituts Imug von Juli sind von insgesamt 20.000 Artikeln im Sortiment konventioneller Supermärkte nur 200 Ökoprodukte. Trotzdem gebe es eine „deutlich höhere Nachfrage nach Bioprodukten, die vom Angebot nicht zu befriedigen ist“, sagt Ulrich Prolingheuer von „Bioland“. Der Marktanteil von Ökoprodukten von drei Prozent steige, allein im letzten Jahr sei die Fläche im Ökoanbau um rund ein Drittel gestiegen.

Das sieht Bauernpräsident Gerd Sonnleitner anders. Für ihn ist Künasts Agrarwende „nur eine Ankündigung, die nicht umgesetzt wird“. Künast kritisiere die Bauern „immer nur mit Schlagworten“ und verkenne die Leistung der Bauern für die „Weiterentwicklung der nachhaltigen Landwirtschaft“. Doch sei Künast eingebunden in die Agrarpolitik der Länder und der EU. Alleingänge wie die Hennenverordnung führen nach Ansicht Sonnleitners dazu, dass die Produktion ins Ausland abwandert.

Das komplexe Agrarsystem bremst den Eifer der Verbraucherministerin, das sehen auch ihre Unterstützer so. Künast mache den Fehler, „die Verlierer der Agrarwende nicht klar zu benennen“, sagt etwa Lutz Ribbe, Agrarexperte des Umweltverbandes Euronatur. „Ein Konfrontationskurs hatte keine Chance“, nimmt dagegen die Grünen-Landwirtschaftsexpertin Ulrike Höfken ihre Ministerin in Schutz, „weil im Frühjahr die akute Bekämpfung der MKS viel Kraft gebunden hat.“ Für sie hat Künast in einem halben Jahr geschafft „wofür wir sonst zwanzig Jahre gebraucht hätten“.

Sowohl Ribbe als auch Höfken monieren aber, Künast fehle ein Grundkonzept für die Agrarwirtschaft. Tatsächlich musste im Februar das Kanzleramt mit einem 28-seitigen Papier aushelfen. Die Fachbeamten im Landwirtschaftsministerium, die sich jahrzehntelang als Lobbyisten der Bauern verstanden, können nicht mit einem Konzept dienen. Jedenfalls nicht mit einem, das Künasts Politik entspricht.