Eisvögel und Riesenfische

Regenwaldimpressionen mitten in Hamburg und Stromschnellen inklusive: Eine Kanufahrt auf dem Oberlauf der Alster  ■ Philipp Sidhu

Schon beim wackligen Einstieg fällt die herrische Arroganz der Enten auf. „Seht her, wir können fliegen, laufen und schwimmen. Her mit dem Brot, ihr Kriecher“, scheinen sie zu quaken. Dabei hat das Kanu noch nicht mal richtig abgelegt.

Nachdem Klappstullen und kalte Getränke griffbereit verstaut und das Regenzeug hoffnungsvoll unter die Ruderbänke geschoben wurde, geht's los. Ziel ist es, den Alsterlauf von der Ohlsdorfer Schleuse bis hin zum Mal-sehen-wie-weit-wir-kom-men flussaufwärts zu erpaddeln. Anfangs ist die Fahrt ruhig und beschaulich. Doch dann verengt sich der Fluß unerwartet zur Stromschnelle. Die harmlose Alster wird so reißend, dass es einiger An-strengung bedarf, um nicht abzutreiben.

„Pull, pull“, ruft der selbsternannte Kapitän fröhlich, aber bestimmt von hinten, und willig wird vorne wie verrückt durchgezogen. Dann ist's vollbracht. Die Stromschnelle liegt hinter einem und stolz wird sich gereckt. Plötzlich wieder „pull, pull“, diesmal fast panisch. Zu spät. Das Kanu rammt unkontrolliert das Ufer und schrammt über den steinigen Grund. „Das muss das Boot abkönnen“, schnarrt der Kapitän mit bes-ter Prochnow-Mimik. Der Leichtmatrose nickt demütig.

Eine Handbreit Wasser ist noch unter dem Rumpf, und wenn der Bauch nicht so voll mit Klappstullen und kalten Getränken wäre, könnte es zu schaffen sein. So aber bleibt nur der Fußweg. Beherzt wird über Bord gesprungen und, knietief im Schlamm watend, das Boot weitergezerrt. Die Mühe hat sich gelohnt, ein Fisch zeigt sich. „So groß war der“ – selbst des Kapitäns lange Arme reichen kaum aus. Der einsame Angler am Ufer fühlt sich gestört. „Beißen sie?“ Die Antwort ist ein grimmiges: „Ab und zu“. Zur Strafe für's Anglerärgern fallen erste Regentropfen. Nur kurz, dann bricht blass die Sonne durch die Blätter der tiefhängenden Zweige, und ein leichter Nebel schwebt über dem Wasser. Regenwaldimpressionen mitten in Hamburg.

Am Poppenbütteler Wehr muss umgesetzt werden und gemächlich geht es weiter. Plötzlich kreuzt eine ziemlich große Libelle den Weg. „Ein Eisvogel“, ruft der Ornithologe im Heck. „Blödsinn“, widerspricht das Stadtkind vorne. Die Entscheidung fällt schließlich für den Eisvogel und gegen das Stadtkind. Auf Höhe der Alsterschleife wird beschlossen umzukehren, und schon bietet sich ein weiteres Highlight für den Vogelkundler: ein Graureiher steigt auf. Diesmal besteht kein Zweifel, und das Stadtkind hält den Mund.

Die Stromschnelle, die auf der Hinfahrt Probleme bereitete, ist jetzt entäuschend unspektakulär. Problemlos wird das Kanu ins tiefe Wasser gelenkt, ruck zuck ist man rüber und kann sich genüsslich von der Strömung treiben lassen. Doch das Glück dauert nicht lange, und der Rückweg beginnt sich zu ziehen. Kann aus Rudern und einer Regenjacke ein Segel gebaut werden? „Zu wenig Wind“, sagt der Kapitän. Kann aus Bierbüchsen eine Dampfmaschine zusammengelötet werden? Vielleicht, aber was soll's. Noch drei Brücken, noch zwei, noch eine.

Auf den letzten Metern zum Anlegeplatz an der Ohlsdorfer Schleuse wird sich noch einmal mächtig in die Paddel gelegt, um eventuelle Zuschauer zu beeindrucken. Doch niemand sieht hin. Egal. Festmachen, bezahlen und müde, aber glücklich den Heimweg antreten. Nur die Enten wollen einen nicht in Frieden ziehen lassen. Während noch zufrieden über den Muskelkater von Morgen spekuliert wird, hebt eine ab und läuft zehn Meter über das Wasser. Wir Kriecher.