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Häuser aus Stroh

■ Das „forum junger architekten“ testet Stroh als Baustoff und muss mangelnde Statik feststellen

Im Schneckentempo holpert ein älteres Ehepaar in seinem Auto über den staubigen Feldweg. Auf der linken Seite erstreckt sich ein Hof mit Ställen, zur Rechten liegt eine Pferdekoppel. In der Luft liegt der Geruch von frischem Stroh und ein Hauch von Pferdeäpfeln. Mit offenem Mund starrt die ältere Frau auf das Feld, als wolle sie sagen „Du, Karl-Heinz, was machen die jungen Leute denn da für seltsame Sachen mit dem Stroh?“

Mitten auf der Koppel stapeln sieben junge Leute quaderförmige Strohballen aufeinander. Um sich vor der Neugier der Pferde zu schützen, haben sie eine viereckige Fläche mit einer provisorischen Absperrung aus Stangen und Schnüren abgesteckt. „Jan Niclas, guck doch noch mal, ob das fluchtet“, ruft Arne Schlichtmann von der zwei Meter hohen Strohmauer. Jan Niclas Döpkens geht einige Schritte zurück, kneift ein Auge zu und peilt über den Daumen an der linken Wand des eigentümlichen Bauwerks entlang. Ein kleine Delle, ansonsten ist alles gerade.

Mit dem Plendelhof in Groß Henstedt bei Bassum hat das „forum junger architekten bremen“ bereits im vergangenen Jahr zusammengearbeitet. In diesem Forum haben sich Architekten im Alter von 28 bis 36 Jahren zusammengefunden, um den Nachwuchs zu fördern und um der Bremer Architektur-Kultur mit verschiedenen Beiträgen neue Impulse zu verleihen. „Räume aus Stroh“ lautete das Thema der diesjährigen Aktion.

Von einer Bank aus, die umgeben von Brennnesseln direkt vor dem ehemaligen Stall des Plendelhof steht, bietet sich eine gute Sicht auf die Pferdekoppel und die darauf aufgetürmten Strohballen. Andreas Wenning erläutert das Projekt: Sie hätten sich dafür entschieden, die weitläufige Landschaft zu nutzen und in der Tradition der Land-Art mit Naturmaterialien in der Natur den Naturgegebenheiten etwas Kurioses zu entlocken, eine Spannung zu erzeugen. Als besonders interessant empfindet Andreas Wenning „das Spannungsverhältnis, das zwischen der natürlichen Beschaffenheit des Materials und der geometrischen Form des Ballens entsteht“. Doch bei aller „Modulhaftigkeit“ der Ballen, bleibe es doch immer ein Strohhaufen.

Das Stroh, das die Architekten auf dem Feld verarbeiten, hat ihnen ein Bauer aus Groß Henstedt zur Verfügung gestellt – als Dank dafür, dass die Baukünstler ihm in der Woche zuvor bei der Ernte geholfen haben. Mehr als 400 Ballen, jeder 80 Zentimeter lang, 50 Zentimeter breit und 35 Zentimeter hoch, haben die Architekten dabei zweckentfremdet.

Nach ersten Beratungen haben sich die jungen Baumeister dafür entschieden, auf der Pferdekoppel einen Raum zu errichten, der in der Form einem Container ähnelt: etwa 20 Meter lang, vier Meter breit und fast drei Meter hoch. Die vordere kurze Seite soll offen bleiben. Innen befindet sich eine Treppe mit fünf Stufen. In der hinteren kurzen Seite klafft eine senkrechte schmale Öffnung, durch die der Telegrafenmast im Hintergrund zu sehen ist – jedoch nur, wenn der Betrachter auf der Bank vor dem Stall sitzt. Denn genau so ist der Stroh-Quader auf der Koppel angelegt.

Währendessen wird die Arbeit auf der Pferdekoppel immer wackeliger und schwieriger. Die Ballen sind oft ungleichmäßig stabil, manche sind locker und fallen fast auseinander. Damit die meterhohen Wände stehen bleiben, binden die Architekten immer wieder einzelne Blöcke zusammen oder stabilisiernen einzelne Lagen mit langen Holzbrettern. Im Innenraum des Bauwerks wird es gemütlich. Es duftet angenehm nach Stroh. Auch die Akustik hat sich stark verändert: Das Heu verschluckt fast jeglichen Schall, so dass es unwirklich still ist – als hätte man Watte im Kopf.

Mit vereinter Kraft gelingt Jenni Löbert, Wolfgang Tobias, Torben Pundt, Jost Herbert und den übrigen Architekten das Dach des Raumes zu schließen. Doch zum Schluss siegt doch der ungeordnete, organische Strohhaufen. Begleitet von einer riesigen Staubwolke stürzt eine Seitenwand in sich zusammen. „Der Baustoff war doch tückischer als wir dachten“, muss Andreas Wenning feststellen.

Sylvia Massow

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