Ärzte ignorieren Arbeitsgericht

■ Kassenärztliche Vereinigung lässt ihre Justitiarin trotz eines arbeitsgerichtlichen Titels nicht wieder ins Haus: Über Willkür und Begünstigung an der Spitze der Ärztefunktionäre

Als am vergangen Montag die Justitiarin der Bremer Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Andrea Schulz, zur Arbeit gehen wollte, wurde ihr an der Tür bedeutet: Das Hausverbot bleibt bestehen. Obwohl gerade das Bremer Arbeitsgericht in einer Eilentscheidung verkündet hatte, dass sie einen Anspruch auf ihre Arbeit hat. Der Anwalt der Justitiarin, Hubertus Hess-Grunewald, will nun ein Erzwingungsgeld gegen die KV beantragen und wenn das nichts nützt, eine Erzwingungshaft gegen den KV-Vorsitzenden, den Bremer Ärztefunktionär Dr. Jürgen Grote.

„So etwas kenne ich bisher nur aus dem Milieu von Baufirmen“, sagt der Arbeitsrechtler. Damit die gegnerische Seite den Titel des Arbeitsgerichtes offiziell entgegennahm, musste der Anwalt den Gerichtsvollzieher schicken.

Grund der Kündigung, so berichtete die Zeitschrift „Der Kassenarzt“, war das Verhalten der Juristin auf einer internen Vorstandssitzung im April 2001: Sie hatte rechtliche Bedenken formuliert gegen eine Entscheidung, mit der der Praxis des zweiten Vorsitzenden der KV, Dr. Jörg Andreas Rüggeberg, ca. 400.000 Mark an zusätzlichen Einnahmen pro Jahr ermöglicht werden. In der Sache scheint inzwischen Einigkeit erziehlt worden zu sein – der ihn begünstigende Beschluss sei „verwaltungstechnisch inkorrekt“, räumte Rüggeberg gegenüber der Zeitschrift „Der Kassenarzt“ und auch gegenüber der taz ein, sei aber „politisch gedeckt“ gewesen.

Wie es kommen konnte, dass ein „verwaltungstechnisch inkorrekter“ Beschluss gefasst wird und Bestand hat, das wollte einer der früheren Mitglieder im Vorstand KV, der Bremerhavener Arzt Dr. Christian Korn, wissen und hatte daher die Justitiarin im Frühjahr um Aufklärung des Sachverhaltes gebeten. Dies hatte sie in der Vorstandssitzung offenbar versucht. Dr. Korn hat inzwischen versucht, dieselbe Vergünstigung durch die KV zu erhalten und den schriftlichen Bescheid bekommen, dass so etwas natürlich gegen die Satzung der KV verstoßen würde und daher nicht möglich sei. Wer für die Begünstigung des Ärztefunktionärs Rüggeberg verantwortlich ist, war damals schon die Frage an die Justitiarin. „Was die herausbekommen hat, weiß ich nicht“, sagt Dr. Korn.

Offenbar reichte es für die fristlose Kündigung. Beobachter der Ärzteszene gehen davon aus, dass der KV-Vorsitzende Dr. Jürgen Grote direkt in den Fall verwickelt ist. Grote hatte im Vorjahr schon einmal zugunsten eines gleichgerichteten Anliegens von Dr. Rüggeberg gegen einen klaren Vorstandsbeschluss gehandelt und fing sich dafür, so das Vorstandsprotokoll vom 5.12.2000, in aller Form eine „Rüge“ ein. Der unter Fachärzten einflussreiche Rüggeberg – er ist gleichzeitig Präsident der Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände (GFB) – unterstützte in den vergangenen Monaten Grote in dessen Wahlkampf. Grote wollte noch für eine weitere Amtsperiode als KV-Vorsitzender gewählt werden, danach kann er direkt in den Ruhestand gehen. Pikant wäre es schon, wenn sich herausstellte, dass Grote seinem Stellvertreter zu dem „verwaltungstechnisch inkorrekten“ Beschluss verhalf.

Zusätzlich zu den – inzwischen zurückgenommenen – fristlosen Kündigungen hat die KV ihrer Justitiarin auch fristgerecht zum 31.12.2001 gekündigt. Darüber wird das Arbeitsgericht voraussichtlich am 31.10. verhandeln.

Die Kassenärztliche Vereinigung wird, so der Geschäftsführer Klaus Stratmann gegenüber der taz, keinerlei Stellungnahme zur Sache abgeben, solange das Verfahren gegen die Justitiarin läuft. Stratmann wollte nicht einmal die Tatsache des weiter bestehenden Hausverbotes bestätigen. K.W.