Besinnung am Resopaltisch

Einmal im Monat hält die Berliner Stadtmission einen Gottesdienst auf dem Ausflugsdampfer „Moby Dick“ ab. Im Maul des Walschiffs kommt die Geschichte von Jona gerade recht

von CHRISTINE BERGER

Wer am Tegeler See im Norden Berlins auf Reisen gehen will, hat die Qual der Wahl. „MS Astor“, „Deutschland“, „Havel Queen“ und viele andere Schiffe schippern Ausflugsgäste über die Berliner Gewässer. Bei Eis, Kaffee und Berliner Pilsener vergehen die Stunden, der Kopf wird angesichts der gleißenden Sonne in die Sommerpause geschickt, Hirnträgheit pur.

Manchmal wird an Bord jedoch auch dem Tiefsinn gehuldigt. An jedem ersten Sonntag im Monat veranstaltet die Berliner Stadtmission noch bis September auf dem Ausflugsdampfer „Moby Dick“ einen Gottesdienst. Im Angesichts des improvisierten Altars aus Restaurantmobiliar versammeln sich je nach Wetterlage regelmäßig dreißig bis hundert Besucher an Resopaltischen mit Webtischdeckchen, um im Maul des als Wal konstruierten Schiffes Gottes Wort zu hören. Lieder werden natürlich auch gesungen, besonders beliebt: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“.

Während draußen die Schwäne schnäbeln und am Horizont Segelboote im Wettkampfeifer um Pokale kämpfen, geht es im Innern des Wals um Nächstenliebe, Flucht und Katastrophenerlebnisse. Da liegt es auf der Hand, das auch die Geschichte von Jona immer wieder eine Rolle spielt.

„Jona wollte vor Gott fliehen, genau wie manche, die sich von der Kirche entfernen und sie kritisieren“, predigt Pfarrer Hans-Georg Filker. Gott lasse jedoch niemanden los, da helfe auch keine Flucht in Aktionismus. Seine Worte stoßen bei den überwiegend älteren Zuhörern auf keinen Widerspruch. Dass Jona im Bauch des Wales beten lernt, will er nicht verallgemeinern. „Not lernt beten, oft macht sie aber auch stumm“, weiß Filker, der auch Direktor der Stadtmission ist, nur zu gut.

Während ein Reinickendorfer Duo mit Hammondorgel und glasklarem Gesang die Stimmung hebt, schweift der Blick immer wieder zur Getränkekarte auf dem Resopaltisch. Rotkäppchen-Sekt, lieber aber noch einen Kaffee könnte man jetzt gebrauchen. Draußen geht der Kapitän mit adretter Uniform auf und ab. Ob die Tiefenbräune im Gesicht vom Balearenurlaub oder aus dem Sonnenstudio stammt? „God is watching us from a distance“, singen Rainer und Sabine Wegnitz, derweil das Leben draußen seinen Lauf nimmt. „Da fliegt ’ne Lufthansa“, flüstert das Kind seiner Mutter zu. So hat jeder etwas zu gucken.

Die Kollekte am Schluss wird für ein Grundstück am Lehrter Bahnhof gesammelt. Das will die Berliner Stadtmission kaufen, um dort ein soziales Zentrum zu errichten. Und das wird nötig sein, denn dort, wo sich viele Menschen begegnen, wird es auch in Zukunft viel Elend geben.

Im Gegensatz zum Bahnhofsmilieu ist das Leid auf der „Moby Dick“ weniger sichtbar.

Einige der adrett angezogenen Mitmenschen werden nach dem Gottesdienst noch eine Runde mit der „Moby Dick“ über die Havel tuckern und sich Kaffee, Bier und Rotkäppchen-Sekt genehmigen. Sie werden in die Sonne blinzeln und zufrieden aussehen. Aber wie sagt Filker so schön: „Manche Menschen geben sich nach außen hin fröhlich, aber in ihrem Herzen und Leben ist so viel zerstört.“

Treffpunkt für den nächsten Gottesdienst der Berliner Stadtmission ist am 2. September um 10.30 Uhr an der Greenwichpromenade in Berlin-Tegel.