Ratten im Ingwerhaus

In Drewen finden die neunten Brandenburger Kunsttage statt. Die Dorfbewohner machen ihre Häuser zu Museen

Schon am Dorfeingang steht ein seltsames Schild. Darauf sind links vier Jungen zu sehen, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen und ernst dreinschauen. Kein Wunder. Die Kleinen sind geklont: Lise Nellemann aus Dänemark macht mit ihrer Arbeit auf Möglichkeiten wie Gefahren der modernen Biotechnologie aufmerksam. Auf der grünen Wiese soll ein „isoliertes Versuchsgebiet humanoid biosphere“ für Genentschlüsselung und Stammzellenforschung entstehen. Daneben hängt eine echte Reklametafel. Der ortsansässige Autohändler will japanische Wagen und Reifen verkaufen. Ob die Dörfler sich aber so ein Versuchsgebiet gefallen ließen?

Kunst lassen sich die 260 Einwohner des Prignitz-Dorfes Drewen, rund 100 Kilometer nordwestlich von Berlin gelegen, gern gefallen. Zum neunten Mal finden hier die Brandenburger Kunsttage statt. Acht Künstler präsentieren ihre vor Ort entstandenen Werke in der Kirche, auf dem Dorfplatz und in Wohnzimmerfenstern. Sie setzten sich mit einem erweiterten Begriff von Bild und Skulptur unter dem Motto „Pflanze / Tier / Leben / Menschenleben“ frei nach Alfred Brehm auseinander.

Der hätte an „Act versus Plan“ von Tea Mäkipää sicher seine Freude gehabt. Die Finnin hat Pappkartons mit Ingwerbrot beklebt und daraus Häuschen gebastelt. Darin leben zehn Ratten. Die Tiere sollen sich durch den nahrhaften Wohlstand fressen. Das machen sie aber nicht. Somit bleibt der konzeptionelle Ansatz, der sich um Fragen des Lebens/Überlebens in der Welt von heute dreht, auf der Strecke. Oder auch nicht. Die untätigen Ratten vermitteln eine Botschaft: Ändern kann man eh nichts – der Mensch ist ein unbelehrbarer amüsiersüchtiger Ressourcenvernichter.

Die Reflexionen über die wissenschaftlichen Revolutionen der Postmoderne nehmen ironische Züge an. Carina Randlov hat den „Drewener Dorfteich“ en miniature gebaut. Die Dänin gruppierte Krokodil, Schäferhund und Gartenzwerge aus Plastik hübsch kitschig um eine Wasserlache. Ottmar Sattel installierte bei Kühen Kameras auf dem Haupt. „Videohörner“ vermittelt vor allem eins: Der Alltag von Kühen ist stinklangweilig. Immer nur Gras, Bäume und eben Artgenossen. Für Städter mag das interessant bis lustig sein. Für Dörfler aber? Da ist die Lichtinstallation von Celina Gonzalez Sueyro sinnfälliger. Die Argentinierin „beleuchtet“ eine nicht mehr gebrauchte Maschinenhalle. 100 Minibatterien liefern den Strom für ebenso viele Dioden, die im Dunkel des Raumes scheinbar umherschwirren und die Geister der verlassenen Werkhallen beschwören. Da wird einem wehmütig ums Herz.

Vermeintlich Altes ist auch das Ausgangsmaterial der neuen Arbeiten von Micha Brendel. Der ist bekannt für seine unter die Haut gehende Kunst, die sich aus tierischen Organen und Körperteilen zusammensetzt. In Drewen zeigt Brendel 20 Objekte aus der angeblich von ihm ausgegrabenen Sammlung eines gewissen Doktors Julius Niess.

Ein Nasspräparat zeigt eine „Elfe aus der Mark“. Es nicht klar, ob es sich tatsächlich um ein Tier in Gänze handelt oder ob es einfach zusammengestückelt wurde. Der Kopf könnte von einem Hamster stammen, die Arme von einem Kriechtier, der Rumpf erinnert an eine Schlange. Das seltsam anmutende Ding ist in einem Fenster des Hauses von Thomas-Hellmut Lahusen zu sehen. „Ich habe sie richtig lieb gewonnen“, sagt der Arzt.

Auch die Familien Bernhardt und Herberg stellen ihr Doppelhaus zur Verfügung. Bei ihnen stehen zwei „Gulaschkanonen“ von Brendel auf dem Hof. Auf hölzernen Lafetten, die sich vor Ort fanden, hat der Künstleralchimist Rohre gebunden. Darin schwimmen tierische Organe, Pansen, Lunge und Gedärm. Mit Gulasch hat das nichts zu tun, tatsächlich lässt sich Brendels Arbeit als Kommentar auf Forschungs-, Nutzungsaspekte heutiger wissenschaftlicher Möglichkeiten lesen. Wolfgang Bernhardt mag die Arbeit, weil sie „provokant“ ist, und findet es prima, nebenbei etwas über Julius Niess zu erfahren, der „hier in der Gegend gelebt und geforscht haben soll“. Ob dies tatsächlich zutrifft, ist ähnlich fabelhaft wie die „Elfe aus der Mark“ und bleibt Geheimnis des Künstlers.

ANDREAS HERGETH

Bis 7. Oktober, Drewen, Infos: Internationales Kunstforum Drewen e.V., Frau Vorpahl, Tel. (03 39 76) 5 07 17